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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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eigenen Leib zu spüren bekommen würde - für ein geregeltes Einkommen. Ein paar Wochen kam er vermutlich noch über die Runden, zumindest was Miete und Verpflegung betraf. Alle zusätzlichen Ausgaben würden flachfallen: keine Kleidung, keine auswärtigen Mahlzeiten, keine Bücher und auch keine der ohnehin seltenen, herrlichen Theater oder Galeriebesuche mehr, die ihn dem ersehnten Gentleman näherbrachten.
    Aber das war nicht das Problem. Die Drehscheibe seiner Existenz war zerstört. Sein Lebensziel, das er so ehrgeizig und unter vielen Opfern verfolgt hatte, für das er eiserne Disziplin aufgebracht hatte, so lange er denken, beziehungsweise sich erinnern konnte, war nicht mehr da. Freunde hatte er nicht, niemand, mit dem er die Zeit verbringen konnte, keinen, der ihn schätzte, niemand, der ihn liebte. Die Gesichter der Männer vor Runcorns Tür fielen ihm wieder ein. Verwirrung war darin zu sehen gewesen, Verlegenheit und Angst, aber keinerlei Sympathie. Er hatte sich ihren Respekt verdient, nicht ihre Zuneigung.
    Monk fühlte sich einsamer, ratloser und elender als zu jedem anderen Zeitpunkt seit der Katharsis im Mordfall Grey. Er hatte nicht den geringsten Appetit auf Mrs. Worleys Frühstück, brachte nur zwei Scheiben Toast mit etwas Speck hinunter und starrte immer noch stumpf auf den mit Krümeln übersäten Teller, als es heftig an die Tür klopfte. Eine Sekunde später stand Evan im Raum, ohne seine Antwort abgewartet zu haben. Er warf einen kurzen Blick auf seinen Exvorgesetzten, ließ sich rittlings auf dem anderen Stuhl nieder und schwieg. Er wirkte so besorgt und betroffen, daß es sich nur um Mitleid handeln konnte.
    »Machen Sie nicht so ein Gesicht!« fuhr Monk ihn an. »Ich werd's überleben. Es gibt auch noch andere Dinge auf der Welt als den Polizeidienst, sogar für mich.«
    Evan blieb weiterhin stumm.
    »Haben Sie Percival verhaftet?« fragte Monk nach einer Weile.
    »Nein. Er hat Tarrant geschickt.«
    Monk lächelte bitter. »Vielleicht hatte er Angst, Sie würden es nicht tun - Sie Esel!«
    Evan fuhr zusammen.
    »Tut mir leid«, entschuldigte sich Monk schleunigst, »aber es bringt nicht das geringste, wenn Sie auch noch das Handtuch werfen - weder Percival noch mir.«
    »Wahrscheinlich haben Sie recht«, räumte Evan kleinlaut ein. Monk wurde nur selten an sein jugendliches Alter erinnert, aber im Moment sah er von Kopf bis Fuß wie das aus, was er war: der Sohn eines Landpfarrers. Die korrekte, saloppe Kleidung und das typische, leicht von der Norm abweichende Verhalten verbargen eine innere Sicherheit, die Monk niemals erlangen würde. Evan mochte sensibler sein und weniger überzeugend - oder überheblich -, was seine Urteile betraf, aber er würde immer eine gewisse Sorglosigkeit verbreiten, weil er ein Sprößling des niederen Landadels war. Er mußte sich dessen bewußt sein, nicht unbedingt auf Verstandesebene, sondern in den tieferen Schichten seiner Seele, dort, wo sich die Instinkte regten. »Haben Sie schon überlegt, was Sie jetzt tun werden? Die Presse überschlägt sich förmlich heute morgen.«
    »Das war zu erwarten«, erwiderte Monk. »Ein Freudenfest, was? Das Innenministerium hebt die Polizei in den Himmel, der Adel beglückwünscht sich, daß ihn wie immer keine Schuld trifft. Gut, man hat einen durch und durch schlechten Lakai eingestellt aber derlei Fehlgriffe kommen in den besten Familien vor.« Er merkte selbst, wie bitter das klang, und es gefiel ihm nicht. Trotzdem war es nicht zu verhindern; es steckte in ihm wie ein bösartiger Virus. »Jeder noch so aufrechte Gentleman kann sich in seiner Meinung über einen Mitmenschen täuschen. Die Moidores sind von jedem Makel befreit, und der Mann auf der Straße kann wieder ruhig schlafen.«
    »Und so ist alles wieder im Lot.« Evan schnitt eine Grimasse.
    »In der Times steht ein ellenlanger Leitartikel über die Tüchtigkeit der neuen Polizeistreitkräfte auch unter den schwierigsten und heikelsten Bedingungen - sprich im Hause einer der vornehmsten Familien Londons. Runcorn wird des öfteren erwähnt, als Leiter der Ermittlungen. Sie überhaupt nicht.« Ein Achselzucken. »Genau wie ich.«
    Jetzt mußte Monk wirklich lächeln über Evans Unbedarftheit.
    »Irgendwo hat sich sogar einer über die wachsende Anmaßung der Arbeiterklasse beschwert«, fuhr Evan fort, »und den Untergang unserer Gesellschaftsordnung sowie den Verfall von Sitten und Moral prophezeit.«
    »Klar. Das darf natürlich nicht fehlen. Manchmal

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