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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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bewerkstelligen könnten. Sogar Lady Callandra fällt diesbezüglich nichts ein.
    Ich bitte Sie noch einmal, allergrößte Vorsicht walten zu lassen, und verbleibe bis auf weiteres mit freundlichen Grüßen, Ihr William Monk Während Hester den Brief zusammenfaltete, stand ihr Entschluß bereits fest. Sie konnte sich nicht darauf verlassen, selbst umwälzende Entdeckungen in der Queen Anne Street zu machen: Monk war erfolgreich daran gehindert worden, seine Arbeit an dem Fall fortzusetzen. Percivals einzige Hoffnung war das Gerichtsverfahren. Und es gab nur eine Person, die ihr dahingehend einen Rat erteilen konnte: Oliver Rathbone. Callandra fiel aus; wenn sie dazu bereit gewesen wäre, hätte sie es bei ihrem letzten Besuch bereits vorgeschlagen. Rathbones Dienste konnte man mieten. Es sprach nichts dagegen, in sein Büro zu gehen und eine halbe Stunde seiner Zeit zu kaufen, was höchstwahrscheinlich alles war, was sie sich leisten konnte.
    Zunächst bat sie Beatrice, ihr noch einen Nachmittag freizugeben, damit sie sich um ihr familiäres Problem kümmern konnte. Es wurde ihr ohne Schwierigkeiten bewilligt. Anschließend verfaßte sie ein Schreiben an Oliver Rathbone, in dem sie erklärte, sie brauchte rechtlichen Rat in einer heiklen Angelegenheit und könnte nur am Dienstag nachmittag in seinem Büro erscheinen, falls das einzurichten wäre. Sie fragte den Stiefelburschen, ob er den Brief für sie aufgeben würde, wozu er sich gerne bereit erklärte.
    Die Antwort traf mit der wie jeden Tag umfangreichen Post zur darauffolgenden Mittagszeit ein. Sobald sie sich einen Augenblick unbeobachtet fühlte, riß Hester den Umschlag auf.
    20. Dezember 1856 Sehr geehrte Miss Latterly, Es wäre mir ein Vergnügen, Sie am Dienstag, den 23. Dezember um 15 Uhr, in meinen Büroräumen in der Vere Street, gleich bei Lincoln's Inn Fields, empfangen zu dürfen. Ich hoffe, Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können, was immer Ihnen auf dem Herzen liegt.
    Bis dahin verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, Ihr Oliver Rathbone Der Brief war kurz und aussagekräftig. Mehr zu erwarten wäre absurd gewesen, dennoch rief ihr die Prägnanz des Schreibens überdeutlich in Erinnerung, daß sie für jede Minute ihrer Anwesenheit würde zahlen müssen. Überflüssige Bemerkungen, Nettigkeiten oder beschönigende Umschreibungen konnte sie sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten.
    Ihre Garderobe war trist. Sie besaß keine Samt und Seidengewänder wie Araminta oder Romola, keine schmuckvollen Haarnetze oder Häubchen, keine Spitzenhandschuhe. Sämtliche Kleider, die sie seit dem Tod ihres Vaters erstanden hatte, waren grau oder blau, unauffällig und zweckdienlich geschnitten und aus einfachem Stoff. Ihre Haube hatte eine hübsche, tiefrosa Farbe, aber das war auch schon alles, was man ihr zugute halten konnte. Außerdem war sie nicht neu.
    Wie auch immer - Rathbone würde sich kaum für ihr äußeres Erscheinungsbild interessieren. Sie ging zu ihm, um ihn in seiner Eigenschaft als Anwalt zu konsultieren, nicht wegen eines geselligen Beisammenseins.
    Hester musterte mißvergnügt ihr Spiegelbild. Sie war zu dünn und für ihren Geschmack zu groß. Ihr Haar war kräftig, aber fast völlig glatt und erforderte mehr Zeit und Geschick, um in die modischen Löckchen gedreht zu werden, als sie aufbringen konnte. Ihre Augen hatten trotz des klaren, dunklen Graublaus und der schönen Form die für viele Leute unangenehme Eigenart, durchdringend und offen in die Welt zu starren. Sie konnte sich wenigstens bemühen, charmant zu sein, und das hatte sie auch vor. Ihre Mutter hatte ihr häufig gesagt, sie würde nie eine Schönheit sein, aber mit einem Lächeln könnte man eine Menge wettmachen.
    Der Himmel war verhangen, durch die Gassen pfiff ein eisiger Wind - es war ekelhaft draußen.
    Hester nahm einen Hansom von der Queen Anne zur Vere Street, wo sie kurz vor drei eintraf. Um drei Uhr saß sie in dem eleganten Vorraum vor Oliver Rathbones Sprechzimmer und wurde allmählich ungeduldig.
    Sie wollte gerade aufstehen und der Ursache der Verzögerung auf den Grund gehen, als sich die Tür auftat und Rathbone herauskam. Er war wie schon bei ihrer ersten Begegnung tadellos gekleidet, was ihr den eigenen schäbigen, wenig weiblichen Aufzug sofort bewußt machte.
    »Guten Tag, Mr. Rathbone.« Ihr Entschluß, charmant zu sein, geriet etwas ins Wanken. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie so kurzfristig Zeit für mich gefunden

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