Gefährliche Trauer
glaube ich fest an seine Begabung, und es ist ein Verbrechen, wenn ein Mensch sein Leben beendet, ohne seine gottgegebenen Talente genutzt zu haben.« Sie schob das Pfannkuchentablett zu Hester hinüber, woraufhin diese sich eifrig bediente.
»Wenn er es nicht mit dem Segen des Volkes bei der Polizei tun kann, muß er es eben auf privater Basis versuchen.« Der Gedanke gefiel ihr zusehends. »Er könnte beispielsweise in sämtliche Zeitungen und Zeitschriften Annoncen setzen. Es muß doch Leute geben, die Angehörige verloren haben, ich meine, vermissen. Bestimmt gibt es Einbrüche, die die Polizei nicht aufklären kann, Verbrechen, die ungelöst bleiben. Im Lauf der Zeit wird er sich einen Namen machen, so daß er vielleicht sogar mit Fällen betreut wird, bei denen es um grobes Unrecht geht oder die Polizei vor einem Rätsel steht.« Ihr Gesicht leuchtete verschwörerisch auf. »Oder solche, bei denen die Polizei gar nicht weiß, daß ein Verbrechen vorliegt, jemand anders allerdings und es unbedingt nachgewiesen haben will. Zudem wird es hin und wieder geschehen, daß eine unschuldige Person verleumdet wird und ihren Namen reinwaschen möchte.«
»Aber wovon soll er leben, bis es soweit ist?« fragte Hester besorgt, während sie die Butter an ihren Fingern mit einer Serviette abwischte.
Callandra dachte eine Weile angestrengt nach und kam dann offenbar zu einem Entschluß, der ihr sichtlich Vergnügen bereitete.
»Ich wollte mich schon immer mal an etwas Aufregenderem beteiligen als an guten Taten. Ich werde mich mit Mr. Monk zusammentun.« Sie nahm noch einen Pfannkuchen. »Ich stelle die erforderlichen finanziellen Mittel für seinen Unterhalt und entsprechende Büroräume. Als Gegenleistung verlange ich einen Teil des Profits, sofern es welchen gibt. Ich werde mein Bestes tun, Kontakte herzustellen und ihm Klienten zu besorgen - die Arbeit macht er. Und ich verlange über alles unterrichtet zu werden, was mich interessiert.« An diesem Punkt zog sie die Stirn in tiefe Falten. »Meinen Sie, er findet das annehmbar?«
Hester gab sich alle Mühe, eine unbewegte Miene aufzusetzen, doch innerlich tobte sie vor Glück.
»Ich würde sagen, er hat keine andere Wahl. Ich an seiner Stelle würde mich auf so eine Chance stürzen.«
»Ausgezeichnet. Ich werde ihm sofort einen Besuch abstatten und meine Vorschläge unterbreiten. Das Queen-Anne-Street-Problem ist dadurch allerdings nicht aus der Welt geschafft. Was sollen wir tun? So, wie die Situation jetzt ist, können wir sie jedenfalls nicht lassen.«
Es dauerte vierzehn Tage, bis Hester zu dem Entschluß bezüglich ihrer weiteren Aktivitäten gelangte. Sie wohnte immer noch in der Queen Anne Street, um Beatrice zu betreuen, die alles daransetzte, jeden Gedanken an Octavias Tod zu verdrängen, und sich doch vor Sorge völlig verrückt machte, weil sie vielleicht einem grauenhaften Geheimnis auf die Spur kommen könnte.
Andere Hausbewohner schienen wieder ein halbwegs normales Leben zu führen. Basil ging nahezu jeden Tag in die City, um seine üblichen Geschäfte zu erledigen. Hester versuchte Beatrice auf höfliche, recht vage Art danach auszuhorchen, doch Beatrice konnte nicht viel zu diesem Thema sagen. Derartige Dinge wurden als nicht zu ihren Interessengebieten gehörend vorausgesetzt, folglich hatte Basil ihre zarten Anfragen mit einem Lächeln abgetan.
Romola mußte wohl oder übel - wie alle andern auch - auf ihre gesellschaftlichen Aktivitäten verzichten, da man in Trauer war. Sie schien jedoch zu glauben, daß der dunkle Schatten über dem Haus, eine Begleiterscheinung der Ermittlungen, vollkommen verflogen war, und wirbelte mit gnadenloser Fröhlichkeit durch die gemeinsamen Räumlichkeiten, sofern sie nicht gerade im Schulzimmer ein Auge auf die neue Gouvernante hatte. Nur ganz selten kam eine unterschwellige Bedrücktheit zum Vorschein, und die hing eher mit Cyprian als mit einem heimlichen Verdacht zusammen. Sie war zufrieden mit dem Gedanken, daß Percival schuldig und sonst niemand in die Geschichte verwickelt war.
Cyprian verbrachte mehr Zeit bei Gesprächen mit Hester. Er fragte sie zu allen möglichen Themen nach ihrer Meinung oder ihren Erfahrungen und legte größtes Interesse an ihren Antworten an den Tag. Sie mochte ihn und fand seine Aufmerksamkeit schmeichelhaft. Sie freute sich auf die wenigen Gelegenheiten, wenn sie ungestört waren und offen miteinander reden konnten, ohne sich in den obligatorischen Plattheiten zu
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