Gefährliche Trauer
seine Gesinnung ist wirklich zu bewundern im Gegensatz zu seinem Urteilsvermögen.«
Sie saßen in ihrem Salon vor dem Kamin; durch die Fenster ergoß sich das harte Licht der Wintersonne. Das neue Stubenmädchen, das erst vor kurzem die Nachfolge der frischverheirateten Daisy angetreten hatte ein mageres, blasses Ding mit erstaunlich glücklichem Lächeln und dem Namen Martha -, hatte ihnen Tee und kleine warme Pfannkuchen mit Butter gebracht. Pfannkuchen waren zwar weniger damenhaft als Gurkensandwiches, für einen scheußlich kalten Tag wie diesen jedoch wesentlich besser geeignet.
»Was hätte es genützt, wenn er den Befehl ausgeführt und Percival festgenommen hätte?« setzte Hester sich sofort für Monk ein. »Mr. Runcorn würde den Fall auch dann als abgeschlossen betrachten, und Sir Basil würde ihm niemals gestatten, auch nur eine weitere Frage zu stellen, geschweige denn die Ermittlungen fortzusetzen. Er hätte keine Möglichkeit, zusätzliche Beweise für Percivals Schuld zu sammeln. Alle andern scheinen zu finden, daß das Messer und das Neglige reichen.«
»Vielleicht haben Sie recht«, räumte Callandra ein, »trotzdem ist er ein ziemlicher Hitzkopf. Erst der Mordfall Grey, jetzt das. Er scheint nicht viel mehr Vernunft zu besitzen als Sie.« Sie griff nach dem nächsten Pfannkuchen. »Sie haben beide eigenmächtig gehandelt und ihre Einnahmequelle verloren. Was gedenkt er jetzt zu tun?«
»Da fragen Sie mich zuviel!« Hester warf die Arme in die Luft. »Ich weiß ja nicht mal, was ich selbst tun soll, wenn Lady Moidore mich nicht mehr braucht. Ich habe nicht die geringste Lust, den Rest meines Lebens als Gesellschafterin zu verbringen, ständig Dinge hin und her zu tragen und mich um eingebildete Krankheiten oder Anfälle von Schwermut zu kümmern.« Sie wurde unvermittelt von dem Gefühl übermannt, auf der ganzen Linie versagt zu haben. »Callandra, was ist bloß mit mir geschehen? Ich bin so voller Eifer von der Krim zurückgekommen, wollte hart arbeiten, mich in Reformprojekte stürzen - ich wollte soviel erreichen. Die Krankenhäuser sollten sauberer werden, um einiges erträglicher für die Patienten…« Diese Träume schienen plötzlich unerreichbar, als wären sie Teil eines strahlenden, untergegangenen Königreichs. »Ich wollte den Leuten beweisen, daß die Krankenpflege ein großartiger Beruf ist, in dem charakterlich einwandfreie, ernsthafte und engagierte Frauen arbeiten sollten. Warum habe ich mir das nur verbaut?«
»Sie haben es sich nicht verbaut, meine Liebe«, sagte Callandra sanft. »Bei Ihrer Heimkehr standen Sie unter dem starken Eindruck Ihrer Erfolgserlebnisse an der Front und waren nicht auf die bodenlose Trägheit zu Friedenszeiten gefaßt - beziehungsweise auf die typisch englische Passion, alles beim alten zu lassen, egal wie es ist. Man sagt nicht zu Unrecht, dies wäre ein Zeitalter umwälzender Veränderungen. Wir waren nie zuvor derart experimentierfreudig, wohlhabend und frei, was sowohl unsere guten als auch unsre schlechten Einfalle betrifft.« Sie schüttelte den Kopf. »Dennoch gibt es unvorstellbar viel, das für Veränderungen tabu ist. Nehmen Sie nur die fixe Idee, Frauen müßten unterhaltende Künste erlernen, um den Göttergatten zu erfreuen, Kinder zur Welt bringen, diese großziehen, sofern nicht genug Geld für ein Kindermädchen vorhanden ist, und in angemessenen Abständen in angemessener Begleitung auf der Türschwelle der verdienten Armen erscheinen.«
Ein rasch dahinschwindendes, mitleidiges Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.
»Niemals sollte man die Stimme erheben oder in Anwesenheit der Herrenwelt seine Meinung anzubringen versuchen, geschweige denn sich einen klugen oder willensstarken Anschein geben! Das ist ein Spiel mit dem Feuer und macht es den Männern unmöglich, sich wohl zu fühlen.«
»Sie machen sich über mich lustig«, warf Hester ihr vor.
»Nur ein bißchen, meine Liebe. Sie werden eine andere Stellung als Privatschwester finden, falls wir bei den Krankenhäusern tatsächlich kein Glück haben sollten. Ich werde Miss Nightingale schreiben - mal sehen, was sie uns raten kann.« Plötzlich verdüsterte sich Callandras Miene. »Im Augenblick halte ich Mr. Monks Lage allerdings für wesentlich akuter. Besitzt er irgendwelche Fähigkeiten, die nichts mit Verbrechensermittlung zu tun haben?«
Hester mußte einen Moment nachdenken.
»Ich glaube nicht.«
»Dann wird er also ermitteln müssen. Trotz dieses ganzen Debakels
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