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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Verfassung infolgedessen schlechter. Hester bemühte sich um einen höflichen Ton, was ihr nicht leichtfiel, denn obwohl sie über das beträchtliche Geschick des Arztes im Umgang mit dem Skalpell im Bilde war, konnte sie ihn als Mensch nicht ausstehen.
    »Guten Morgen, Miss… äh…« Er schaffte es immer noch, einen verdutzten Eindruck zu machen, obwohl sie bereits seit einem Monat hier und schon des öfteren mit ihm aneinandergeraten war. Es war unwahrscheinlich, daß er diese Begegnungen vergessen hatte. Er hielt nichts von Schwestern, die sich unaufgefordert zu Wort meldeten; zudem war er jedesmal im Irrtum gewesen.
    »Latterly«, soufflierte Hester und versagte sich ein »Daran hat sich seit gestern nichts geändert - und wird es auch in Zukunft nicht«. Das Kind war jetzt wichtiger.
    »Ja, Miss Latterly, was gibt's?« Sein Blick galt nicht ihr, sondern einer alten Frau auf dem Bett gegenüber, die mit offenem Mund auf dem Rücken lag.
    »John Airdrie hat schlimme Schmerzen, sein Zustand bessert sich nicht«, begann sie vorsichtig in erheblich sanfterem Ton, als ihr eigentlich zumute war. Ohne sich dessen bewußt zu sein, drückte sie das Kind noch fester an sich. »Ich denke, wenn Sie ihn bald operieren, hat er die besten Chancen, wieder gesund zu werden.«
    »John Airdrie?« Dr. Pomeroy wandte sich mit einer fragenden Falte zwischen den Brauen an sie. Er war ein kleiner Mann mit rotbraunem Haar und unglaublich sauber gestutztem Bart.
    »Das Kind hier«, erwiderte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Es hat einen tuberkulösen Abszeß im rechten Schultergelenk. Sie müssen ihn entfernen.«
    »Was Sie nicht sagen«, gab er kalt zurück. »Und wo wollen Sie Ihre medizinischen Kenntnisse erworben haben, Miss Latterly? Sie gehen mit Ihren Ratschlägen ziemlich freizügig um. Ich hatte bereits mehrmals Gelegenheit, das festzustellen!«
    »An der Krim, Sir«, sagte sie, ohne zu zögern oder den Blick zu senken.
    »Ach ja?« Er schob die Hände in die Hosentaschen. »Haben Sie dort viele Kinder mit tuberkulösem Abszeß behandelt, Miss Latterly? Ich weiß, daß es kein leichter Feldzug war, aber waren wir tatsächlich gezwungen, kränkelnde Fünfjährige für uns kämpfen zu lassen?« Sein Lächeln war dünn und selbstgefällig. Er ruinierte mit den Fingern das adrette Aussehen seines Bärtchens, während er hinzufügte: »Wenn man dort sogar gezwungen war, jungen Frauen Studien auf dem Gebiet der Medizin zu erlauben, muß es wesentlich schlimmer gewesen sein, als man uns hier in England wissen ließ.«
    »Ich denke, man ließ Sie hier in England vieles wissen, das nicht stimmte«, versetzte sie und dachte an die bequemen Lügen und Ausflüchte, die die Presse abgedruckt hatte, damit Regierung und Kommandantur nicht das Gesicht verloren.
    »Man war sogar sehr glücklich über uns, wie sich erst kürzlich gezeigt hat.« Sie spielte damit auf Florence Nightingale an, was ihnen beiden klar war. Namen waren überflüssig.
    Er zuckte zusammen. Wie war ihm doch dieser ganze Rummel, diese fürchterliche Lobhudelei verhaßt, die oberflächliche und schlecht informierte Leute wegen einer einzigen Frau veranstalteten. Die Medizin war eine Frage von Geschicklichkeit, Urteilsvermögen und Intelligenz, kein zielloses Herumtappen und Einmischen aufgrund erworbener Erfahrung und Übung.
    »Nichtsdestotrotz, Miss Latterly, sind Miss Nightingale und ihre Helferinnen, Sie eingeschlossen, blutige Amateure, und das werden sie immer sein. Es gibt keine einzige medizinische Ausbildungsstätte im ganzen Land, an der Frauen zugelassen sind, woran sich sicher nichts ändern wird. Großer Gott! An einigen der wirklich guten Universitäten werden nicht einmal Nonkonformisten aufgenommen. Frauen wären da absolut undenkbar! Und wer, frage ich Sie, würde ihnen gestatten zu praktizieren? Würden Sie also bitte Ihre Ansichten für sich behalten und sich um die Aufgaben kümmern, für die wir Sie bezahlen? Nehmen Sie Mrs. Warburtons Verband ab und schaffen Sie ihn weg -« Auf seiner Stirn trat eine Ader hervor, als sie sich nicht rührte. »Und lassen Sie dieses Kind los! Wenn Ihnen der Sinn danach steht, Kinder im Arm zu halten, sollten Sie heiraten und welche kriegen, aber sitzen Sie hier nicht wie eine Amme! Bringen Sie mir saubere Bandagen, damit ich Mrs. Warburtons Wunde frisch verbinden kann. Dann können Sie versuchen, ihr etwas Eis zu geben. Sie scheint Fieber zu haben.«
    Hester war dermaßen wütend, daß sie wie angewachsen sitzen

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