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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Kriegsberichterstattung beigebracht. Nachdem er im Militärkrankenhaus von Skutari gestorben war, hatte sie seinen letzten Artikel zu Ende geschrieben und an seine Londoner Zeitung geschickt. Als sein Tod unter den abertausend anderer Kriegsopfer nicht weiter zur Kenntnis genommen wurde, hütete sie sich, den Irrtum richtigzustellen, und schrieb die Berichte unter seinem Namen weiter. Zu ihrer größten Befriedigung wurde jeder einzelne abgedruckt. Zurück in England, mußte sie das Pseudonym natürlich ablegen, schrieb aber trotzdem noch gelegentlich einen Artikel, den sie als eine von Miss Nightingales Freiwilligen unterzeichnete. Die Schreiberei brachte nicht mehr als ein paar Shilling, aber Geld war auch nicht der Beweggrund. Es war das Verlangen, die Gedanken zum Ausdruck zu bringen, die sie so sehr beschäftigten, und die Leute zu Reformen zu bewegen.
    In ihrer Unterkunft angelangt, wurde sie von der Wirtin, einer ausgezehrten, hart schuftenden Frau mit einem kranken Ehemann und zu vielen Kindern, mit der Neuigkeit empfangen, daß im Salon Besuch auf sie wartete.
    »Besuch?« Hester war überrascht und zu abgespannt, um sich zu freuen, auch wenn es sich um Imogen handeln sollte - die einzige Person, die sie sich vorstellen konnte. »Wer ist es denn, Mrs. Horne?«
    »Eine Mrs. Daviot«, gab die Wirtin gleichgültig zurück. Sie war zu beschäftigt, um sich für andere Dinge zu interessieren.
    »Wollte unbedingt auf Sie warten.«
    »Ja, vielen Dank.« Hester fühlte sich plötzlich um einiges munterer. Zum einen mochte sie Callandra Daviot sehr, zum andern stellte sie amüsiert fest, daß die Besucherin geflissentlich davon abgesehen hatte, ihren Titel zu nennen - eine Bescheidenheit, in der sich nur wenige übten.
    Callandra saß in dem kleinen, verwohnten Salon vor einem mageren Feuer. Trotz der relativen Kälte hatte sie den Mantel nicht anbehalten. Ihr interessantes, eigenwilliges Gesicht leuchtete auf, als Hester hereinkam. Wie immer befand sich ihr Haar in wilder Unordnung, wie immer war sie eher bequem als elegant gekleidet.
    »Du meine Güte, Hester, Sie sehen ja furchtbar müde aus! Kommen Sie, setzen Sie sich. Was Sie brauchen, ist eine heiße Tasse Tee - ich übrigens auch. Ich bat diese Frau - das arme Ding, wie heißt sie noch -, uns einen zu machen.«
    »Mrs. Horne.« Hester setzte sich, knöpfte ihre Stiefel auf, streifte sie mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung ab und widmete sich dann den aufsässigsten ihrer Haarnadeln.
    Callandra lächelte. Sie war die Witwe eines Militärchirurgen, hatte ihre besten Jahre weit hinter sich und Hester bereits lange vor der Zeit kennengelernt, als der Mordfall Grey dafür gesorgt hatte, daß sich ihre Wege von neuem kreuzten. Von Geburt hieß sie eigentlich Callandra Grey. Ihr Vater war der verstorbene Lord Shelburne, sie selbst die Tante des gegenwärtigen Lord Shelburne und seines Bruders.
    Hester wußte, daß es einen Grund für Callandras Erscheinen gab, sonst wäre sie nicht gekommen. Nicht nach einem harten Tag, an dem Hester müde und nicht in bester Laune für ein geselliges Beisammensein war. Für eine vornehme Nachmittagsaufwartung war es zu spät, fürs Dinner viel zu früh. Hester wartete gespannt.
    »Menard Greys Gerichtsverhandlung ist für übermorgen angesetzt«, sagte Callandra ruhig. »Wir müssen für ihn aussagen - ich hoffe, an Ihrem Entschluß hat sich nichts geändert?«
    »Natürlich nicht!« kam es wie aus der Pistole geschossen.
    »Dann sollten wir zu dem Anwalt gehen, den ich mit seiner Verteidigung beauftragt habe. Bestimmt kann er uns den einen oder anderen Rat bezüglich unserer Aussagen geben. Ich habe für heute abend einen Termin mit ihm vereinbart. Tut mir leid, daß es so überstürzt kommt, aber er hat sehr viel zu tun, es war die einzige Möglichkeit. Wir können vorher oder nachher zu Abend essen, ganz wie Sie möchten. Meine Kutsche kommt in einer halben Stunde zurück. Ich hielt es für unpassend, sie draußen warten zu lassen.« Callandra lächelte schief; eine weitere Erklärung war nicht nötig.
    »Sicher.« Hester rutschte tiefer in ihren Sessel und dachte an Mrs. Hornes Tee. Ja, das wäre wesentlich angenehmer, als andere Sachen anzuziehen, sich wieder in die Stiefel zu quälen und loszuzockeln, um irgendeinen Anwalt zu treffen.
    Aber Oliver Rathbone war nicht »irgendein Anwalt«. Er war der beste Rechtsbeistand weit und breit, und das wußte er. Er war ein schlanker, durchschnittlich großer Mann, der sich gut,

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