Gefährliche Trauer
den andern nicht passen würde. Was für eine ständige Erniedrigung mußte das sein. Wie eine offene Blase an der Hacke, die bei jedem Schritt unerträglich weh tat.
War es für Basil andererseits nicht auch ein verdammt mieses Gefühl, nie das gesagt zu bekommen, was sie wirklich dachte und fühlte, sondern was er ihrer Meinung nach hören wollte? Konnte er überhaupt noch etwas glauben, auf irgend etwas bauen?
»Mr. Monk!«
Romola hatte er völlig vergessen.
»Ja, Ma'am. Entschuldigen Sie bitte.«
»Sie haben mich nach Octavia gefragt. Ich bemühe mich, Ihre Frage zu beantworten.« Es ärgerte sie, daß er so unaufmerksam gewesen war. »In guter Verfassung war sie ausgesprochen anziehend. Es gab viele Männer, die ihr den Hof gemacht haben, aber sie hat keinen einzigen davon ermutigt. Ich kann mir nicht denken, daß Sie einen Hinweis auf Octavias Mörder finden werden, wenn Sie Ihre Ermittlungen in dieser Richtung weiterführen.«
»Da haben Sie wohl recht. Und Mr. Haslett fiel auf der Krim?«
»Captain Haslett. Richtig.« Sie zögerte, wandte dann erneut den Blick ab. »Mr. Monk…«
»Ja, Ma'am?«
»Mir kam gerade in den Sinn, daß manche Leute - manche Männer - ein sonderbares Bild von verwitweten Frauen haben …«
Offensichtlich bereitete ihr das, was sie zu sagen versuchte, größtes Unbehagen.
»Ein wahres Wort«, bestätigte Monk ermutigend.
Der Wind zerrte an ihrem Hut und blies ihn leicht auf die Seite, was sie jedoch völlig ignorierte. Er fragte sich, ob sie nach einem Weg suchte, ihm das mitzuteilen, was Sir Basil bereits hatte durchblicken lassen, und ob sie es in seinen oder ihren Worten tun würde.
»Es ist nicht auszuschließen, daß ein Mitglied des Personals, einer der Männer, derart - derart absurde Gedanken hegte und zu vertraulich geworden ist.«
Sie bewegten sich im Schneckentempo vorwärts. Die Spitze von Romolas Schirmchen stocherte im Boden herum.
»Falls das geschehen ist, und - und sie ihm eine eindeutige Abfuhr erteilt hat… Vielleicht ist er wütend geworden - richtig zornig, meine ich - und… und…« Sie verstummte kläglich.
»Mitten in der Nacht?« fragte Monk skeptisch. »Er müßte schon extrem dreist gewesen sein, um in ihr Schlafzimmer einzudringen und so etwas zu versuchen.«
Ihre Wangen brannten wie Feuer.
»Jemand hat es getan«, erinnerte sie ihn mit stockender Stimme, ohne den Blick vom Boden zu wenden. »Ich weiß, es hört sich verrückt an. Wenn sie nicht tot wäre, würde ich mich selbst auslachen.«
»Nein, Sie haben recht«, sagte er widerstrebend. »Oder Mrs. Haslett ist hinter ein Geheimnis gekommen, das einem Dienstboten die Laufbahn ruiniert hätte. Aus Angst, sie könnte es weitererzählen, wurde sie umgebracht.«
Ihr Kopf schnellte jäh hoch. Sie schaute ihn mit großen Augen an. »Ja - richtig! Das klingt… plausibel. Sie meinen irgend etwas Unmoralisches, Verwerfliches? Aber wie sollte Tavie davon erfahren haben?«
»Ich weiß es nicht. Haben Sie keine Ahnung, wo sie den Nachmittag über war?« Er setzte sich wieder in Bewegung; sie fiel in seinen Schritt ein.
»Nein, leider. Außer im Verlauf eines albernen kleinen Streits beim Dinner hat sie so gut wie nichts gesagt, schon gar nichts Überraschendes.«
»Worum ging es bei diesem Streit?«
»Ach, um nichts Besonderes - die Gemüter waren einfach etwas erhitzt.« Sie blickte erneut geradeaus. »Jedenfalls ging es mit keinem Wort um irgendein Geheimnis oder darum, wo sie den Nachmittag verbracht hatte.«
»Ich danke Ihnen, Mrs. Moidore. Sie waren mir eine große Hilfe.« Er blieb stehen, und sie folgte seinem Beispiel. In dem sicheren Bewußtsein, daß er bald gehen würde, konnte sie sich endlich ein wenig entspannen.
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr helfen, Mr. Monk.« Sie sah plötzlich deprimiert und traurig aus. Einen Moment lang war ihre Trauer größer als die Sorge um sich selbst oder die Angst vor der Zukunft. »Falls mir doch noch etwas einfallen sollte…«
»Lassen Sie's mich wissen - mich oder Mr. Evan. Guten Tag, Ma'am.«
»Guten Tag.« Romola machte kehrt und ging, blieb aber nach ungefähr zehn Metern abrupt stehen, um sich noch einmal umzublicken. Sie sagte nichts, sie schaute ihm einfach nach, wie er den Park verließ und in Richtung Piccadilly verschwand.
Monk wußte, daß er Cyprian Moidore in seinem Klub finden würde, war jedoch nicht besonders erpicht darauf, sich dort mit ihm zu unterhalten. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit würde man ihn nicht
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