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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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geahnt. Er brachte ihr jedesmal ein Geschenk mit, wenn er gewonnen hatte.« Sein Gesicht verdüsterte sich wieder. »Er hatte sie sehr gern. Sie machte es einem auch nicht schwer, sie zu mögen, sie war so…« Er suchte vergebens nach dem passenden Wort. »Sie war keineswegs vollkommen, weshalb man ihr ausgezeichnet sein Herz ausschütten konnte. Sie war empfindlich und leicht zu verletzen; aber wie sehr die andern sie auch kränkten, Tavie nahm nie etwas übel oder rächte sich dafür.«
    Der Schmerz in seinen Zügen vertiefte sich, wodurch er plötzlich selbst sehr verwundbar wirkte. Er starrte blind in den kalten Wind. »Sie lachte nur, wenn etwas komisch war. Niemand konnte ihr vorschreiben, wen sie zu mögen hatte und wen nicht; sie hatte ihren eigenen Kopf. Sie verlor die Beherrschung, wenn sie etwas aufregte, aber sie war nie eingeschnappt. Vielleicht trank sie in letzter Zeit ein bißchen mehr, als einer Dame bekommt…« Er verzog den Mund, als er sich der ungewollten Beschönigung bewußt wurde. »Und sie war gnadenlos ehrlich.« Nach dieser letzten Bemerkung fiel er in tiefes Schweigen. Sein Blick klebte an dem zarten Rippchenmuster, das der Wind auf die Wasseroberfläche der Serpentine zauberte. Wäre es für einen Gentleman nicht absolut undenkbar gewesen, in aller Öffentlichkeit zu weinen, hätte Monk in diesem Moment damit gerechnet, daß Cyprian genau das tun würde. Was immer er über ihren Tod wußte oder vermutete, Cyprians Trauer um seine verlorene Schwester war groß.
    Monk drang nicht weiter in ihn.
    Ein weiteres Paar flanierte an ihnen vorbei. Er trug eine Husarenuniform, sie einen modisch gefransten, überladenen Rock.
    Nach einer Weile hatte Cyprian das Gleichgewicht wiedergefunden.
    »Es hätte etwas ganz Abscheuliches sein müssen«, fuhr er fort, »durch das jemand ernsthaft in Gefahr geraten wäre; sonst hätte Tavie nie ein Geheimnis verraten, Inspektor. Wenn ein Dienstbote ein uneheliches Kind oder eine leidenschaftliche Romanze gehabt hätte, wäre Tavie sicher die letzte gewesen, die damit zu meinem Vater oder sonst wem gerannt wäre. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie einen Diebstahl gemeldet hätte, es sei denn, es wäre etwas enorm Wertvolles abhanden gekommen.«
    »Also muß es sich bei dem, was sie am fraglichen Nachmittag herausfand, um kein triviales, sondern ein äußerst bedrohliches Geheimnis handeln«, folgerte Monk.
    Cyprians Miene verschloß sich. »Anscheinend. Ich bedaure, Ihnen nicht helfen zu können, aber ich habe wirklich keine Ahnung, was oder wen es betrifft.«
    »Aufgrund Ihrer Offenheit ist mein Bild sehr viel klarer geworden. Ich danke Ihnen vielmals, Sir.« Monk machte eine leichte Verbeugung und wandte sich, nachdem Cyprian die Geste erwidert hatte, zum Gehen. Er ging an der Serpentine entlang zurück zur Hyde Park Corner, überquerte diesmal jedoch in zügigem Tempo den Constitution Hill in Richtung Buckingham Palace und St. James's.
    Am späten Nachmittag stieß er auf Sir Basil, der von der Parade der berittenen Ehrengarde in Whitehall kam. Monks Anblick versetzte ihn in Erstaunen.
    »Gibt es etwas zu berichten?« erkundigte er sich ziemlich abrupt. Er trug dunkle Stadthosen und, gemäß dem allerletzten Schrei, einen in der Taille abgesetzten Gehrock. Der Schwerpunkt seines schlanken, hohen Zylinders war in lässiger Eleganz auf eine Kopfhälfte verlagert.
    »Bis jetzt noch nicht, Sir«, gab Monk zurück und fragte sich im stillen, was Basil eigentlich nach so kurzer Zeit von ihm erwartete. »Ich hätte ein paar Fragen an Sie.«
    Sein Gegenüber legte die Stirn in Falten. »Hätte das nicht warten können, bis ich zu Hause bin? Ich schätze es nicht, auf der Straße angesprochen zu werden, Inspektor.«
    Monk dachte nicht daran, sich zu entschuldigen. »Ich benötige einige Informationen über das Personal, die mir der Butler nicht geben kann.«
    »Die gibt es nicht«, erwiderte Basil frostig. »Es ist Bestandteil seiner Aufgabe, Dienstboten einzustellen, ihre Referenzen zu prüfen und sich mit ihnen zu unterhalten. Wenn ich ihn diesbezüglich nicht für absolut kompetent hielte, hätte ich ihn längst ersetzt.«
    »Zweifellos.« Monk spürte am Ton und dem harten, eisigen Blick, daß der Mann genau solche Beschränktheit von ihm erwartet hatte. »Falls er irgendwelche Disziplinierungsmaßnahmen ergreifen müßte, würde er Sie aber doch davon in Kenntnis setzen?«
    »Das bezweifle ich, es sei denn, es betrifft ein Mitglied der Familie - was, nehme

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