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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hineinlassen, und das wäre eine zu große Demütigung. Also stand er sich auf dem Bürgersteig die Beine in den Bauch und dachte darüber nach, was genau er Cyprian fragen wollte, wenn dieser endlich herauskam.
    Er wartete ungefähr seit einer Viertelstunde, als plötzlich zwei Männer an ihm vorbeikamen und auf die Half Moon Street zusteuerten. Etwas am Gang des einen schlug eine schrille Saite in seinem Gedächtnis an, so daß er sich spontan in Bewegung setzte, um ihn anzusprechen. Er hatte bereits ein halbes Dutzend Stufen hinter sich, als ihm klar wurde, daß er keine Ahnung hatte, wer der Mann war. Seine Erscheinung war ihm nur einen Augenblick lang unglaublich vertraut vorgekommen, und in diesem Moment hatte ihn ein starkes Gefühl von Hoffnung und zugleich Trübsal befallen begleitet von der bösen Vorahnung, daß Unglück ins Haus stand.
    Er verbrachte eine weitere halbe Stunde in bitterkaltem Wind und sporadisch durchdringendem Sonnenschein, während der er sich das Gesicht, das kurz vor seinem geistigen Auge aufgetaucht war, in Erinnerung zu rufen versuchte. Es handelte sich um die gut geschnittenen, aristokratisch anmutenden Züge eines Mannes von mindestens sechzig Jahren. Monk entsann sich sogar der Stimme: hell, sehr kultiviert - leicht affektiert. Er wußte, daß dieser Mann eine wesentliche Rolle beim Erwachen seines Ehrgeizes, in seinem Leben überhaupt gespielt hatte. Er hatte alles an ihm kopiert, die Art sich zu kleiden, das Benehmen, ja sogar die Aussprache, um den eigenen angeborenen Northumberlandakzent loszuwerden.
    Er grübelte immer noch, als Cyprian Moidore die Stufen herunterkam und auf die Straße trat. Monk bemerkte er erst, als er fast in ihn hineinlief.
    »Oh - Monk!« Er blieb abrupt stehen. »Warten Sie auf mich?«
    Monk kehrte unsanft in die Gegenwart zurück.
    »Ja, Sir. Ich hoffe, es ist Ihnen recht.«
    Cyprian wirkte beunruhigt. »Haben Sie - haben Sie etwas herausgefunden?«
    »Nein, Sir, ich wollte Ihnen nur noch ein paar Fragen über Ihre Familie stellen.«
    »Soso.« Cyprian setzte sich wieder in Bewegung, und Monk fiel in seinen Schritt ein. Sie gingen zum Park zurück. Auch Cyprian sah in seiner Trauerkleidung ungemein elegant aus. Sie bestand aus einem dunklen Mantel, einem Jackett über einer hochmodernen kurzen Weste mit Schalkragen und einem hohen, schlanken Zylinder. »Hätte das nicht Zeit gehabt, bis ich zu Hause bin?« fragte er stirnrunzelnd.
    »Ich habe mich gerade mit Mrs. Moidore unterhalten, Sir. Im Green Park.«
    Cyprian schien überrascht, fast verlegen. »Ich bezweifle, daß sie Ihnen viel sagen kann. Was möchten Sie denn wissen?«
    Monk war gezwungen, ein ziemlich flottes Tempo anzuschlagen, um mit ihm Schritt halten zu können. »Wie lange lebt Ihre Tante, Mrs. Sandeman, schon im Haus Ihres Vaters, Sir?«
    Cyprian zuckte kaum merklich zusammen. Ein leichter Schatten glitt über sein Gesicht.
    »Sie zog kurz nach dem Tod ihres Mannes bei uns ein«, erwiderte er barsch.
    Monk mußte noch längere Schritte machen und gab sich dabei alle Mühe, nicht mit anderen Passanten zusammenzustoßen, die langsamer gingen oder ihnen entgegenkamen.
    »Stehen sie und Ihr Vater sich nahe?« Er wußte, daß dem nicht so war. Der Ausdruck in Fenellas Gesicht, als sie das Morgenzimmer in der Queen Anne Street verlassen hatte, hatte sich ihm deutlich eingeprägt.
    Nach kurzem Zögern entschied Cyprian, daß die Wahrheit ohnehin ans Licht kommen würde, wenn nicht jetzt, dann später.
    »Nein. Tante Fenella fand sich plötzlich in sehr eingeschränkten Verhältnissen wieder.« Seine Züge waren angespannt; er verabscheute es, derartige Anfechtbarkeiten preiszugeben. »Papa bot ihr ein neues Heim - das gehört zu den normalen familiären Verpflichtungen.«
    Monk versuchte sich ihr Gefühl des Verpflichtetseins vorzustellen, die aufgezwungene Dankbarkeit, das Wissen, daß ein gewisses Maß an Gehorsam erwartet wurde. Er hätte zu gern gewußt, welche Gefühle unter diesem Wust aus Pflichten und Zwängen regierten, aber diese Frage hätte Cyprian ihm niemals beantwortet.
    Eine Kutsche fuhr zu dicht an der Bordsteinkante vorbei und wirbelte eine Fontäne Schmutzwasser auf. Monk machte einen Satz zur Seite, um seine Hosenbeine in Sicherheit zu bringen.
    »Es hat ihr sicher ziemlich zu schaffen gemacht, plötzlich aus den Geldquellen anderer schöpfen zu müssen«, sagte er mit ungeheucheltem Mitgefühl. Er konnte sich Fenellas Schrecken und Widerwillen gut vorstellen.
    »Sehr«,

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