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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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es nicht hilft, höre ich sofort auf.«
    »Und wo, meinen Sie, sollte ich diesen Wirkstoff herbekommen, falls ich mich tatsächlich auf Ihren Vorschlag einlassen würde?«
    Hester holte tief Luft und schaffte es nur knapp, sich nicht zu verraten.
    »Aus der Fieberklinik, Sir. Wir könnten einen Hansom rüberschicken. Wenn es Ihnen lieber ist, fahre ich auch selbst hin.«
    Sein Gesicht erstrahlte mittlerweile in leuchtendem Violett.
    »Miss Latterly! Ich dachte, ich hätte zu dem Thema bereits unmißverständlich Stellung bezogen. Krankenschwestern halten die Patienten sauber und warm, verabreichen ihnen den Anweisungen des Arztes entsprechend Eis und Getränke.« Seine Stimme steigerte sich zu einem wahren Crescendo, während er unbewußt auf den Fußballen auf und ab wippte. »Sie holen und beseitigen wie gewünscht Verbände und Instrumente. Sie sorgen auf der Station für Sauberkeit und Ordnung. Sie schüren das Feuer im Kamin und verteilen das Essen. Sie entfernen und leeren Bettpfannen und kümmern sich um die körperlichen Bedürfnisse der Kranken.«
    Er versenkte ruckartig die Hände in den Taschen und wippte noch heftiger auf und ab. »Sie halten die Moral aufrecht und sorgen für gute Laune. Mehr nicht! Haben Sie das verstanden, Miss Latterly? Abgesehen von den grundlegenden Bereichen sind Sie auf dem Gebiet der Medizin vollkommen unfähig. Sie handeln unter gar keinen Umständen nach eigenem Ermessen, was immer das überhaupt sein könnte!«
    »Aber wenn Sie doch nicht da sind!« protestierte Hester.
    »Dann haben Sie zu warten!« Seine Stimme wurde zunehmend schriller.
    Hester konnte ihren Verdruß nicht länger hinunterschlucken.
    »Inzwischen können Patienten sterben! Oder es geht ihnen hinterher so schlecht, daß sie nur noch schwer zu heilen sind!«
    »Wenn tatsächlich ein Notfall vorliegt, müssen Sie mich sofort holen lassen! Aber Sie dürfen auf keinen Fall etwas unternehmen, das außerhalb Ihrer Kompetenzen liegt. Sobald ich da bin, entscheide ich, was zu tun ist, klar?«
    »Und wenn ich selbst weiß, was zu tun ist?«
    »Das können Sie nicht wissen!« Seine Hände schossen aus den Taschen und zuckten hoch. »Um Gottes willen, gute Frau, Sie verfügen über keinerlei medizinische Ausbildung! Außer ein paar Wortfetzen und ein bißchen praktischer Erfahrung, die Sie bei irgendwelchen Ausländern in einem Lazarett auf der Krim aufgeschnappt haben, haben Sie nicht die geringste Ahnung! Sie sind kein Arzt und werden auch nie einer sein!«
    »Die Medizin ist lediglich eine Frage von Lerneifer und eigenen Beobachtungen!« Nun steigerte sich auch ihre Stimme zu einem Crescendo, so daß selbst die Patienten, die am entferntesten Ende des Saals untergebracht waren, langsam hellhörig wurden. »Es gibt nur eine Regel, und die lautet: Wenn etwas hilft, ist es gut, wenn nicht, probier etwas anderes.« Seine starrköpfige Blindheit raubte ihr den letzten Nerv. »Wenn wir uns nie auf Experimente einlassen, werden wir auch keine Fortschritte machen. Viele Menschen müssen weiterhin sterben, obwohl wir sie vielleicht hätten heilen können!«
    »Und erheblich mehr Menschen vermutlich wegen Ihrer bodenlosen Ignoranz!« schrie er zurück. »Sie haben kein Recht, Experimente durchzuführen. Sie sind eine verbohrte Frau ohne jede Erfahrung, und wenn Sie noch ein einziges aufsässiges Wort von sich geben, werde ich für Ihre Entlassung sorgen! Haben Sie mich verstanden?«
    Hester zögerte einen Moment. Ihr Blick bohrte sich in seinen. Sie entdeckte nicht die geringste Spur von Unentschlossenheit; ja, es war ihm ernst. Wenn sie jetzt schwieg, bestand zumindest die Möglichkeit, daß er später, nachdem ihre Schicht vorüber war, noch einmal zurückkam und Mrs. Begley selbst das Chinin gab.
    »Ja, ich habe verstanden.« Sie brachte die Worte nur mühsam über die Lippen. Ihre Hände waren unter den Falten der Schürze zu Fäusten geballt.
    Doch Pomeroy konnte es trotz des scheinbaren Sieges nicht dabei bewenden lassen.
    »Chinin hilft nicht bei postoperativen Fieberzuständen, Miss Latterly«, fuhr er mit Todesverachtung fort. »Es wirkt ausschließlich bei Tropenfieber. Sie werden die Patientin mit Eis und regelmäßigen kalten Waschungen behandeln.«
    Hester atmete tief durch. Seine Selbstgefälligkeit war nicht auszuhalten.
    »Haben Sie gehört?«
    Ehe sie antworten konnte, kam ihr einer der Patienten am fernen Ende des Saals zuvor. Er hatte sich aufgesetzt und starrte mit vor Konzentration verkniffenem Gesicht zu

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