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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Becher, fügte eine winzige Dosis Chinin hinzu und rührte das Ganze sorgfältig um. Sie wußte, daß es extrem bitter schmeckte.
    Nachdem das vollbracht war, ging sie zu dem Bett des Jungen und richtete ihn vorsichtig auf, so daß sein Kopf an ihrer Brust ruhte. Dann flößte sie ihm sanft zwei Teelöffel der Arznei ein. Ohne etwas von dem Vorgang zu bemerken, schluckte er die Flüssigkeit reflexartig hinunter. Sie wischte seinen Mund mit einer Serviette ab, legte ihn langsam zurück, strich ihm das Haar aus der Stirn und deckte ihn gut zu.
    Zwei Stunden später folgten zwei weitere Teelöffel, dann, kurz bevor Pomeroy erschien, noch einmal zwei.
    »Sehr schön«, sagte er, während er das Kind aus nächster Nähe eingehend studierte. Sein sommersprossiges Gesicht strahlte vor Selbstzufriedenheit. »Er scheint sich bemerkenswert gut zu erholen, Miss Latterly. Sie sehen also, ich hatte ganz recht damit, die Operation so lange hinauszuschieben. Es bestand zu keiner Zeit eine solche Dringlichkeit, wie Sie sie heraufbeschworen haben.«
    Er schenkte ihr ein verkrampftes Lächeln. »Sie geraten zu schnell in Panik.«
    Hester enthielt sich nur mit Mühe eines Kommentars. Wenn sie ihm von dem hohen Fieber erzählt hätte, das den Jungen noch vor fünf Stunden geplagt hatte, hätte sie auch ihre Medikation erwähnen müssen. Seine Reaktion darauf konnte sie nur erraten, aber angenehm würde sie bestimmt nicht sein. Sofern es unbedingt sein mußte, würde sie es ihm sagen, sobald der Junge wieder ganz auf dem Damm war.
    Diese Möglichkeit erhielt sie jedoch nicht mehr, dafür sorgten die Umstände. Mitte der Woche saß John Airdrie mit normaler Gesichtsfarbe aufrecht im Bett und verspeiste mit Genuß ein leichtes Mahl. Der Zustand der Frau drei Betten weiter, die eine Bauchoperation über sich hatte ergehen lassen müssen, verschlechterte sich dafür rapide. Pomeroy betrachtete sie mit Grabesmiene und verordnete Eis und eine Menge kühler Bäder. Sein Tonfall verriet nicht die leiseste Hoffnung, nur Resignation und Bedauern.
    Hester schaffte es nicht länger, den Mund zu halten. Sie sah das gequälte Gesicht der Frau und begann: »Haben Sie schon die Möglichkeit in Erwägung gezogen, ihr Chinin in einem Gemisch aus Rotwein, Theriak und Hoffman's Liquor zu verabreichen, Dr. Pomeroy? Es könnte das Fieber senken.«
    Er musterte sie voller Skepsis, die sich langsam in Wut verwandelte, als ihm nach und nach dämmerte, was sie sich herausgenommen hatte. Sein Teint nahm eine rosa Färbung an, seine Barthaare stellten sich drohend auf.
    »Miss Latterly! Ich habe mich bereits des öfteren zu Ihren Versuchen geäußert, sich in einer Kunst zu üben, für die Sie weder die Ausbildung noch den Auftrag besitzen. Ich werde Mrs. Begley verabreichen, was für sie das beste ist, und Sie werden meine Anweisungen befolgen. Ist das klar?«
    Hester schluckte schwer. »Und lautet Ihre Anweisung, Dr. Pomeroy, daß ich Mrs. Begley etwas Chinin geben soll, um ihr Fieber zu senken?«
    »Nein, das tut sie nicht!« fuhr er sie an. »Chinin wird bei Tropenfieber eingesetzt, nicht bei der normalen körperlichen Reaktion auf einen operativen Eingriff. Es würde nichts nützen. Außerdem will ich nichts von diesem fremdländischen Zeug hier haben!«
    Ein Teil von Hester begehrte noch gegen ihren Entschluß auf, als ihre Zunge bereits den einzigen Kurs eingeschlagen hatte, den sie mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte.
    »Ich habe gesehen, wie es von einem französischen Chirurgen bei Wundfieber infolge von Amputationen erfolgreich angewendet wurde, Sir, zudem geht sein Einsatz bis zu den Napoleonischen Feldzügen vor Waterloo zurück.«
    Sein Gesicht lief vor Wut dunkelrot an. »Ich lasse mir nicht von Franzosen diktieren, wie ich vorzugehen habe, Miss Latterly! Die Franzosen sind ein dreckiges, unwissendes Volk, das erst vor kurzem daran gehindert wurde, diese Inseln zu erobern - genau wie den Rest Europas! Und dann möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, da Sie offenbar dazu neigen, es zu vergessen, daß Sie Ihre Instruktionen von mir erhalten, und zwar von mir allein!« Er wandte sich von seiner unglückseligen Patientin ab und wollte gehen, woraufhin Hester sich ihm halb in den Weg stellte.
    »Sie deliriert, Doktor! Wir können sie nicht so liegen lassen! Bitte erlauben Sie mir, es mit einer kleinen Dosis Chinin zu versuchen. Es kann nicht schaden, aber vielleicht hilft es. Ich gebe ihr jeweils nur einen Teelöffel, alle zwei bis drei Stunden, und wenn

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