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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ihnen herüber.
    »Sie hat dem Kind da hinten was gegeben, als es nach der Operation hohes Fieber gekriegt hat«, tönte seine Stimme laut und deutlich durch den Raum. »Es ging ihm ziemlich dreckig, war kurz vorm Delirium. Und nachdem sie's vier oder fünfmal getan hat, war er wieder in Ordnung. Jetzt ist er genauso kühl wie Sie. Sie weiß, was sie tut. Sie hat recht.«
    Der Saal versank sekundenlang in furchtbarem Schweigen. Der Mann hatte keine Ahnung, was er angerichtet hatte.
    Pomeroy war wie vor den Kopf geschlagen.
    »Sie haben John Airdrie Chinin gegeben!« brach es unvermittelt aus ihm hervor, als ihm endlich ein Licht aufging.
    »Hinter meinem Rücken!« Seine Stimme überschlug sich fast vor Wut und dem bitteren Gefühl, hintergangen worden zu sein, nicht nur von ihr, sondern - schlimmer noch - von dem Patienten.
    Und dann kam ihm ein ganz neuer Gedanke.
    »Wo hatten Sie das her? Antworten Sie mir, Miss Latterly! Ich verlange zu erfahren, wo Sie es sich beschafft haben! Haben Sie etwa in meinem Namen in der Fieberklinik angefragt?«
    »Nein, Dr. Pomeroy. Ich besitze selbst eine kleine Dosis Chinin - nur ganz wenig«, fügte Hester hastig hinzu, »um etwas gegen Fieber im Haus zu haben. Davon habe ich ihm ein bißchen verabreicht.«
    Er bebte vor Zorn. »Sie sind entlassen, Miss Latterly, fristlos! Seit Sie gekommen sind, hat es mit Ihnen nichts als Ärger gegeben. Sie wurden auf Empfehlung einer Dame eingestellt, die Ihrer Familie einen Gefallen schuldete und zweifellos nicht richtig über Ihr leichtfertiges, halsstarriges Wesen unterrichtet war. Sie werden dieses Haus noch heute verlassen! Falls sich hier noch irgendwelche Besitztümer von Ihnen befinden sollten, nehmen Sie sie mit. Und es ist absolut sinnlos, um ein Empfehlungsschreiben zu bitten. Ich kann Ihnen keins ausstellen!«
    Tiefe Stille senkte sich über die Station. Irgendwer raschelte mit dem Bettzeug.
    »Aber sie hat den Jungen geheilt!« protestierte der vorlaute Kranke. »Er ist bloß wegen ihr noch am Leben!« Seine Stimme klang gequält; inzwischen war auch ihm klar, was er getan hatte. Er sah erst Pomeroy, dann Hester an. »Sie hatte recht!« wiederholte er trotzig.
    Wenigstens konnte Hester es sich jetzt leisten, auf Pomeroys Meinung zu pfeifen. Sie hatte nichts mehr zu verlieren.
    »Ich werde gehen«, bestätigte sie kalt. »Aber passen Sie auf, daß Ihr Stolz Sie nicht davon abhält, der armen Mrs. Begley zu helfen. Sie verdient es nicht zu sterben, nur damit Sie nicht das Gesicht verlieren, weil eine Krankenschwester Ihnen gesagt hat, was Sie tun sollen.« Sie holte tief Luft. »Und da jeder in diesem Raum sich dessen bewußt ist, wird es Ihnen schwerfallen, eine Ausrede zu erfinden.«
    »Wie können Sie… Sie…!« stammelte Pomeroy puterrot vor Zorn, aber verlegen um Worte, die seiner Empörung gerecht wurden, ohne seine Schwäche bloßzulegen. »Sie…«
    Hester schenkte ihm einen vernichtenden Blick, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte zu dem Patienten hinüber, der sie so tapfer verteidigt hatte. Er hockte inmitten eines chaotischen Haufens zerwühlten Bettzeugs und starrte ihr kreidebleich vor Scham entgegen.
    »Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben«, beruhigte Hester ihn in sehr freundlichem, gut hörbarem Ton, so daß jeder im Saal ihre Worte verstehen konnte. Die andern sollten wissen, daß ihm vergeben wurde. »Es mußte so kommen; eines Tages mußte ich Dr. Pomeroy gegenüber ausfallend werden. Sie sind für das eingetreten, was Sie wissen, und haben Mrs. Begley dadurch wahrscheinlich eine Menge Schmerzen erspart, wenn nicht sogar das Leben gerettet. Bitte seien Sie nicht zu streng mit sich, und glauben Sie nicht, Sie hätten mir geschadet. Sie haben einzig den Zeitpunkt für etwas bestimmt, das ohnehin nicht zu vermeiden war.«
    »Sind Sie sicher, Miss? Ich fühl mich ganz furchtbar!« Ängstlich forschte er in ihren Zügen nach Anzeichen von Unaufrichtigkeit.
    »Selbstverständlich bin ich sicher.« Hester zwang sich zu einem Lächeln. »Haben Sie mich nicht lange genug beobachtet, um das selbst beurteilen zu können? Dr. Pomeroy und ich befanden uns von Anfang an auf Kollisionskurs. Und es war nie vorstellbar, daß ich als Gewinner daraus hervorgehen würde.« Sie machte sich daran, seine Laken zu glätten. »Geben Sie gut auf sich acht - und möge der Herr Sie wieder gesund werden lassen.« Sie drückte kurz seine Hand, entfernte sich und fügte kaum hörbar hinzu: »Trotz Dr. Pomeroy.«
    Als

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