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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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brachte. Sie hatte den furchtbaren Anblick von Fabia Greys Gesicht nicht vergessen, als diese den Gerichtssaal verließ, und wußte genau, daß ihr Leben künftig vom Haß gezeichnet sein würde. Demgegenüber stand der neuerwachte Friede in Lovel Grey, der wirkte, als hätte er sich plötzlich von bösen Geistern befreit und sähe zum erstenmal Licht am Ende eines langen Tunnels. Außerdem hatte sie sich zu der festen Überzeugung durchgerungen, daß Menard in Australien ein neuer Anfang gelingen würde. Sie wußte so gut wie nichts über dieses Land, doch da es nicht England war, hatte er eine echte Chance. Sie hatten das Bestmögliche für ihn herausgeschlagen.
    Ob sie Oliver Rathbone mochte, konnte Hester nicht genau sagen, seine belebende Wirkung war jedoch nicht zu bestreiten. Der Kampf um Menard Grey hatte ihren Appetit auf mehr geweckt, und so kam, daß sie Pomeroy plötzlich noch weniger ertragen konnte als vorher. Seine unfaßbare Selbstgefälligkeit, die blasierten Ausflüchte, mit denen er Verluste als unabwendbar hinnahm, obwohl Hester überzeugt war, daß es sie mit etwas mehr Mühe, Sorgfalt und Courage, mit besseren Pflegekräften und stärkerer Eigeninitiative gar nicht erst gegeben hätte, raubten ihr schier den Verstand. Doch ob er nun recht hatte oder nicht - er könnte wenigstens kämpfen! Geschlagen zu sein war eine Sache, aufzugeben eine andere.
    Dafür gab es keine Entschuldigung.
    Immerhin war John Airdrie mittlerweile operiert worden, dachte sie, als sie eines düsteren, verregneten Novembermorgens im Krankensaal stand und zu seinem Bett am anderen Ende hinüberschaute. Er schlief, atmete jedoch unregelmäßig und schwer. Sie ging zu ihm, um festzustellen, ob er Fieber hatte, strich seine Decke glatt und hielt ihre Lampe über sein Gesicht, um besser sehen zu können. Es war gerötet und fühlte sich heiß an. Obschon das nach einer Operation keineswegs ungewöhnlich war, entsprach es ihren schlimmsten Befürchtungen. Es konnte eine ganz normale körperliche Reaktion sein, aber auch das Anfangsstadium einer Infektion, wofür es kein bekanntes Heilmittel gab. In dem Fall blieb nur zu hoffen, daß der Körper das Übel aus eigener Kraft überwinden würde.
    Hester war auf der Krim französischen Chirurgen begegnet, die Behandlungsmethoden einsetzten, die sich bereits eine Generation früher in den Napoleonischen Kriegen bewährt hatten. 1640 war die Frau des peruanischen Gouverneurs mit einem Destillat aus Baumrinde von ihrem Fieber kuriert worden. Man nannte den Wirkstoff zunächst Poudre de la Comtesse, später dann Poudre de Jesuites; heute hieß er Chinin. Pomeroy hätte dem Kind durchaus etwas davon verordnen können, doch das würde er nicht tun. Zum einen war er extrem konservativ, zum andern hatte er keine Lust, weitere fünf Stunden seine Runden zu drehen.
    Der Junge warf sich unruhig herum. Sie beugte sich über ihn und berührte ihn sanft, um ihn etwas zu trösten. Statt jedoch aufzuwachen, schien er kurz davor, ins Delirium zu fallen.
    Hester faßte augenblicklich einen Entschluß. Diesen Kampf würde sie keinesfalls aufgeben! Seit der Zeit auf der Krim trug sie stets einige Medikamente bei sich, die ihrer Ansicht nach in England nicht ohne weiteres zu besorgen waren, unter anderem auch ein Gemisch aus Theriak, Chinin und Hoffman's Liquor.
    Die transportable Notfallapotheke befand sich in einem kleinen Lederkoffer mit absolut zuverlässigem Schloß, den sie samt Hut und Umhang in einem winzigen, eigens für die Kleiderablage gedachten Vorraum deponiert hatte.
    Sie warf einen letzten Blick durch den Saal, um sicherzugehen daß keiner der Patienten ihre Hilfe brauchte, eilte dann hinaus den Flur entlang zu besagtem Kämmerchen und zog den Koffer hervor, der halb unter den Falten ihres Umhangs verborgen war. Sie angelte nach dem Schlüssel und schob ihn ins Schloß. Es sprang widerstandslos auf, woraufhin Hester den Deckel hob. Die Medikamente verbargen sich unter einer sauberen Schürze und zwei frisch gestärkten Leinenhäubchen. Das Fläschchen mit dem Theriak-Chinin-Gemisch war nicht schwer zu orten. Sie nahm es heraus, ließ es in ihre Tasche gleiten, verschloß den Koffer wieder und schob ihn unter den Umhang zurück.
    Im Krankensaal entdeckte sie eine Flasche von dem Bier, das sich die Pfleger gelegentlich zu Gemüte führten. Normalerweise wurde das Medikament in Rotwein aufgelöst, doch da keiner vorhanden war, mußte eben Bier herhalten. Sie goß ein wenig davon in einen

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