Gefährliche Trauer
Bedeutung kannte.
Nach Ende des letzten Aktes senkte sich der Vorhang unter donnerndem Applaus. Callandra erhob sich. Hester warf einen verächtlichen Blick ins Publikum und schloß sich ihr an. Sie begaben sich in das geräumige Foyer, das sich in Sekundenschnelle mit aufgeregt schnatternden Männern und Frauen füllte. Man sprach über das Stück, über sich selbst und über jeden erdenklichen Klatsch und Tratsch, der einem in den Sinn kam.
Hester und Callandra stürzten sich beherzt in das Getümmel. Nach wenigen Minuten und einem halben Dutzend höflicher Wortwechsel standen sie plötzlich Oliver Rathbone nebst Begleitung gegenüber, einer dunkelhaarigen jungen Frau, deren auffallend hübsches Gesicht eine gezierte Miene zur Schau stellte.
»Guten Abend, Lady Callandra.« Er verbeugte sich leicht, wandte sich dann Hester zu und begann zu lächeln. »Guten Abend, Miss Latterly. Darf ich Ihnen Miss Newhouse vorstellen?«
Man tauschte auf bewährte Weise Begrüßungsfloskeln aus.
»War das Stück nicht entzückend?« erkundigte sich Miss Newhouse artig. »So herzergreifend, finden Sie nicht?«
»Außerordentlich«, bestätigte Callandra. »Die Thematik scheint heutzutage überaus gefragt zu sein.«
Hester schwieg. Sie war sich bewußt, daß Oliver Rathbone sie mit derselben neugierigen Belustigung musterte wie bei ihrer ersten Begegnung. Sie war nicht in der Stimmung für belangloses Geplauder, aber sie war Callandras Gast und mußte diese Tortur mit einer gewissen Grazie durchstehen.
»Ich kann nicht anders, die Heldin tut mir einfach leid«, fuhr Miss Newhouse fort. »Trotz all ihrer Schwächen.« Sie senkte beschämt die Lider. »Oh, ich weiß natürlich, daß sie ihr Verderben selbst verschuldet hat. Es ist dem Talent des Autors zuzuschreiben, nicht wahr, daß man ihr Benehmen mißbilligt und zugleich am liebsten ihretwegen in Tränen ausbrechen würde.« Ihre nächsten Worte galten Hester. »Meinen Sie nicht auch, Miss Latterly?«
»Ich fürchte, ich hatte weitaus mehr Mitleid mit ihr, als beabsichtigt war«, erwiderte Hester kleinlaut lächelnd.
»Ach so?« Miss Newhouse schien verwirrt.
Hester fühlte sich veranlaßt, ihre Bemerkung weiter auszuführen, Rathbones Blick lastete auf ihr wie ein Zentner Blei.
»Ich fand ihren Ehemann dermaßen ermüdend, daß ich sehr gut nachvollziehen konnte, weshalb sie… das Interesse verlor.«
»Das rechtfertigt doch nicht den Bruch des Treuegelöbnisses!« Miss Newhouse war schockiert. »Es beweist lediglich, wie leicht wir Frauen uns durch ein paar galante Worte in die Irre führen lassen«, sagte sie mit Grabesstimme.
»Statt der wahren Werte sehen wir nur ein hübsches Gesicht und ein wenig oberflächlichen Glanz!«
Hester konterte, ohne nachzudenken. Die Heldin war eine ausgesprochen schöne Frau gewesen, ihr Mann schien darüber hinaus allerdings kein sonderliches Interesse gehabt zu haben, sie näher kennenzulernen. »Ich habe es nicht nötig, mich irgendwo hinführen zu lassen! Ich bin sehr gut in der Lage, meinen Weg allein zu gehen!«
Miss Newhouse starrte sie entgeistert an. Callandra hustete heftig in ihr Taschentuch.
»Aber es macht keinen besonderen Spaß, allein in die Irre zu gehen, nicht wahr?« warf Rathbone mit Glitzerblick ein. »Kaum die Reise wert.«
Hester wirbelte zu ihm herum und sah ihm voll in die Augen.
»Ich gehe vielleicht allein ›in die Irre‹, Mr. Rathbone, aber ich bin absolut sicher, mein Ziel nicht unbevölkert vorzufinden!«
Sein Lächeln vertiefte sich, wodurch erstaunlich schöne Zähne zum Vorschein kamen. Er hielt ihr einladend den Ellbogen hin.
»Darf ich? Nur bis zu Ihrer Kutsche?« fragte er mit ausdrucksloser Miene.
Hester war unfähig, ihr Gelächter zurückzuhalten. Der Umstand, daß Miss Newhouse offensichtlich nicht den geringsten Sinn für Humor besaß, machte es nur noch schlimmer.
Am kommenden Morgen schickte Callandra ihren Lakai mit einer Nachricht zum Polizeirevier, in der sie Monk bat, so bald wie möglich bei ihr vorbeizuschauen. Sie erklärte weder den Grund für ihr Anliegen, noch ließ sie in irgendeiner Weise durchblicken, sich im Besitz wertvoller Informationen zu befinden.
Dennoch stand er kurz vor Mittag vor ihrer Tür und wurde gebührend empfangen. Seine Hochachtung für sie war Callandra nicht verborgen geblieben.
»Guten Morgen, Mr. Monk«, begrüßte sie ihn freundlich.
»Bitte setzen Sie sich, fühlen Sie sich wie zu Hause. Kann ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Heiße
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