Gefährliche Trauer
Abends, wenn es gerade paßt, gibt es ein Abendbrot. Sollte einmal eine Dinnerparty gegeben werden, kann es unter Umständen recht spät werden.« Ihre Brauen wölbten sich vielsagend. »Unsere Dinnerparties gehören übrigens zu den größten ganz Londons, es werden nur die besten Speisen serviert. Da wir momentan jedoch in Trauer sind, werden zur Zeit keine Gäste geladen, und wenn es wieder soweit ist, ist Ihre Tätigkeit hier vermutlich längst beendet. Ich schätze, Sie haben alle zwei Wochen einen halben Tag frei, wie jeder andere auch. Richten Sie sich trotzdem darauf ein, daß es nicht unbedingt dabei bleiben muß, falls Ihre Ladyschaft andere Pläne hat.«
Da sie keine Dauerstellung angenommen hatte, machte Hester sich wegen der freien Tage wenig Sorgen. Hauptsache, sie bekam ab und zu die Möglichkeit, mit Monk zu sprechen, um ihn über ihre Fortschritte zu informieren.
»Ja, Mrs. Willis«, gab sie zurück, weil eine Antwort offenbar erwartet wurde.
»Sie werden wahrscheinlich nur wenig oder gar keine Gelegenheit haben, in den Salon zu gehen. Sollte es dennoch einmal so weit kommen, ist Ihnen hoffentlich klar, daß Sie auf keinen Fall anklopfen dürfen?« Ihr gnadenloser Blick ließ Hester keine Sekunde los. »Es ist ausgesprochen vulgär, an eine Salontür zu klopfen.«
»Natürlich. Keine Sorge, Mrs. Willis«, beruhigte Hester sie hastig. Sie hatte zwar noch nie einen Gedanken daran verschwendet, doch wozu dies zugeben?
»Das Mädchen wird sich selbstverständlich um Ihr Zimmer kümmern«, fuhr Mrs. Willis fort, während ihr bohrender Blick einen kritischen Ausdruck annahm, »aber Ihre Schürzen müssen Sie selbst bügeln. Die Wäschemägde haben genug zu tun, und den Zofen hätte das gerade noch gefehlt! Falls Sie Post erhalten sollten - Sie haben doch Familie?« Dieser letzte Satz kam beinah einer Drohung gleich. Leuten ohne Familie mangelte es an Respektabilität; sie konnten ja weiß Gott wer sein.
»Doch, Mrs. Willis, ich habe Familie«, sagte Hester bestimmt »Unglücklicherweise sind meine Eltern vor kurzem verstorben und einer meiner Brüder fiel auf der Krim, aber ich habe noch einen und pflege sowohl zu ihm als auch zu seiner Frau einen sehr herzlichen Kontakt.«
Mrs. Willis schien zufrieden. »Ausgezeichnet. Das mit Ihrem anderen Bruder tut mir leid, aber dieser Krieg hat viele prachtvolle junge Männer das Leben gekostet. Für sein Land und seine Königin zu sterben ist eine ehrenvolle Tat, mit der die Angehörigen so tapfer wie möglich fertig werden müssen. Mein Vater war selbst Soldat - ein feiner Mann, ein Mann, zu dem man aufschauen konnte. Eine Familie ist etwas sehr Wichtiges, Miss Latterly. Das gesamte Personal hier ist ausgesprochen seriös.«
Hester sah davon ab, zum Krimkrieg Stellung zu nehmen. Sie beherrschte sich, indem sie in scheinbarer Zustimmung die Augen senkte.
»Mary wird Ihnen den Aufgang für die weiblichen Hausangestellten zeigen.« Mrs. Willis hatte den privaten Themenkreis offensichtlich abgehakt und kehrte zum Geschäftlichen zurück.
»Was haben Sie gesagt, bitte?« Hester war vorübergehend verwirrt.
»Der Aufgang für die weiblichen Dienstboten«, entgegnete Mrs. Willis scharf. »Sie werden eine Treppe nehmen müssen, um nach oben zu gelangen, junge Frau! Dies ist ein anständiges Haus - Sie glauben doch nicht, daß Sie den Aufgang für die männlichen Bediensteten benutzen können? Sonst noch was? Ich will nicht hoffen, daß Sie diesbezüglich irgendwelche Flausen im Kopf haben.«
»Ganz bestimmt nicht, Ma'am.« Hester fand ihre Geistesgegenwart wieder und ließ sich rasch eine Erklärung einfallen. »Ich bin solche Geräumigkeit nicht gewöhnt. Es ist noch nicht viel Zeit vergangen, seit ich von der Krim zurück bin.« Dies für den Fall, daß zu Mrs. Willis der wenig appetitliche Ruf der in England arbeitenden Schwestern vorgedrungen war. »Wo ich gewesen bin, gab es keine männlichen Dienstboten.«
»Das will ich meinen!« Mrs. Willis war in dieser Angelegenheit vollkommen unwissend, wollte es jedoch um keinen Preis zugeben. »Wir jedenfalls haben fünf männliche Dienstboten für den Außenbereich, denen Sie schwerlich begegnen werden, und fünf im Haus selbst: Mr. Phillips, unseren Butler, Sir Basils Kammerdiener Rhodes, die Lakaien Harold und Percival sowie Willie, den Stiefelburschen. Sie werden mit keinem von ihnen zu tun haben.«
»Nein, Ma'am.«
Mrs. Willis schnüffelte beifällig. »Ausgezeichnet. Und jetzt machen Sie sich am besten auf
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