Gefährliche Trauer
geschult, und dann habe ich noch eine außerordentlich tüchtige Haushälterin, die es nicht schätzt, wenn ich die Nase in ihre Angelegenheiten stecke.«
Hester lächelte. »Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich habe sie bereits kennengelernt. Haben Sie heute schon zu Mittag gegessen?«
»Ich bin nicht hungrig.«
»Sie sollten wenigstens etwas Suppe und ein bißchen Obst zu sich nehmen. Es kann unangenehme Folgen haben, wenn Ihr Körper zuwenig Flüssigkeit bekommt. Ein Magen-Darm-Katarrh würde Ihre Situation nicht verbessern.«
Beatrice schaute sie so verdutzt an, wie ihr halb betäubter Zustand erlaubte.
»Sie nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund.«
»Ich möchte nicht falsch verstanden werden.«
Beatrice mußte wieder Willen lachen. »Ich schätze, das kommt nicht oft vor.«
Hester riß sich zusammen. Sie durfte nicht vergessen, daß ihre Hauptaufgabe darin bestand, sich um eine schwer leidende Frau zu kümmern.
»Darf ich Ihnen etwas Suppe und ein Fruchttörtchen oder Eiercreme bringen?«
»Ich nehme an, Sie tun es sowieso - und darf wohl zu hoffen wagen, daß Sie selbst ein wenig Hunger haben?«
Hester lächelte, warf einen letzten Blick durch den Raum und machte sich auf den Weg in die Küche.
Die nächste Gelegenheit für ein Zusammentreffen mit Araminta bot sich am kommenden Abend. Hester war nach unten in die Bibliothek gegangen, um sich nach einem Buch umzusehen, das Beatrice auf andere Gedanken bringen und ihr vielleicht beim Einschlafen helfen konnte. Sie hatte sich mittlerweile durch die endlosen Reihen gewichtiger historischer und noch gewichtigerer philosophischer Werke gearbeitet und endlich die Gedichtbände und Romane erreicht. Die Fülle ihrer Röcke wie Blütenblätter um sich gebreitet, kniete sie vornübergebeugt mitten auf dem Boden, als Araminta hereinkam.
»Haben Sie etwas verloren, Miss Latterly?« erkundigte sie sich leicht mißbilligend. Hesters Sitzhaltung war ausgesprochen unelegant und zu ungezwungen für jemand, der zum Personal gehörte.
Hester stand hastig auf, um ihre Kleidung in Ordnung zu bringen. Sie waren etwa gleich groß und fixierten sich über ein kleines Lesetischchen hinweg. Araminta trug ein schwarzes Seidenkleid, dessen mit Samt besetztes Oberteil mit winzigen Seidenbändchen geschmückt war. Ihr Haar leuchtete wie Ringelblumen in der Sonne. Hesters Aufmachung bestand aus tristem Blaugrau unter einer weißen Schürze. Der überaus gewöhnliche Farbton ihrer braunen Haarpracht hatte im Sonnenschein zwar einen honig oder kastanienfarbenen Schimmer, war verglichen mit Aramintas jedoch stumpf.
»Nein, Mrs. Kellard«, erwiderte sie ernst. »Ich bin auf der Suche nach etwas Lesbarem für Mrs. Moidore, damit sie besser einschlafen kann.«
»Ach. Wäre ein wenig Laudanum dafür nicht eher geeignet?«
»Laudanum ist das letzte Mittel der Wahl. Es führt leicht zu Abhängigkeit, und man kann sich danach sehr unwohl fühlen.«
»Ich nehme an, Sie wissen, daß meine Schwester vor weniger als drei Wochen in diesem Haus ermordet worden ist?« Araminta stand kerzengerade mit unverwandtem Blick vor ihr. Hester bewunderte ihren Mut zur Unverblümtheit bezüglich eines Themas, das die meisten Leute entsetzt totgeschwiegen hätten.
»Ja, ich habe davon gehört. Es ist kein Wunder, daß Ihre Mutter sich in schlechter Verfassung befindet, insbesondere da die Polizei immer noch herkommt, um unangenehme Fragen zu stellen. Ich dachte, ein Buch könnte sie zumindest so lange ablenken, bis ihr die Augen zufallen, so daß der Einsatz von Drogen überflüssig wird. Es würde ihr nicht helfen, wenn sie dem Schmerz ewig aus dem Weg geht. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte auf keinen Fall hart klingen - aber ich habe selbst beide Elternteile und einen Bruder verloren. Ich weiß, was es heißt, einen geliebten Menschen nie wiederzusehen.«
»Aus diesem Grund wird Lady Burke-Heppenstall vermutlich Sie vorgeschlagen haben. Am besten wäre wohl, Sie könnten meine Mutter davon abhalten, über meine Schwester Octavia nachzugrübeln und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wer für ihren Tod verantwortlich ist.« Araminta schaute ihr nach wie vor direkt in die Augen. »Ich bin froh, daß Sie keine Angst haben, sich in diesem Haus aufzuhalten. Dazu besteht auch nicht der geringste Anlaß.« Sie hob kaum merklich die Schultern. Es war eine kalte Gebärde. »Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um eine falsch interpretierte Beziehung, die in einer Tragödie endete.
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