Gefährliche Trauer
sie zu holen«, kam es gleichgültig zurück.
»Trotzdem wärst du gern Kammerdiener, stimmt's? Immer schön mit Mr. Kellard auf Reisen gehen, wenn er zu all den flotten Parties fährt, vornehme Familien besucht und so…« Ihre Stimme schien die Vorstellung zu genießen. Hester konnte sich vorstellen, wie ihre Augen leuchteten und sich ihre Lippen erwartungsvoll öffneten, während sie an neue Leute dachte, an eine elegante Gesindestube, gutes Essen, Musik, lange Nächte, Wein, Gelächter und jede Menge aufregenden Tratsch.
»Ich fand's ganz in Ordnung, ja«, bestätigte Percival, zum erstenmal mit einer gewissen Wärme. »Obwohl ich jetzt auch schon ein paar interessante Orte zu Gesicht kriege.« Das war unverkennbar der Tonfall eines Angebers.
Was Rose offensichtlich ebenfalls gemerkt hatte. »Aber nur von außen«, rief sie ihm schleunigst in Erinnerung. »Du mußt in den Ställen bei den Kutschen warten.«
»O nein, das muß ich nicht.« Jetzt klang seine Stimme eine Spur schärfer. Hester malte sich das Glitzern in seinen Augen aus, die pikiert geschürzten Lippen. Sie hatte ihn schon des öfteren so gesehen, wenn er in der Küche an den Mädchen vorbeistolzierte. »Ich gehe meistens mit rein.«
»Ja, in die Küche«, sagte Rose abfällig. »Wenn du Kammerdiener wärst, dürftest du mit nach oben. Ein Kammerdiener ist mehr wert als ein Lakai.«
Sie alle waren sich der Hierarchie bewußt.
»Butler sein ist noch besser«, erklärte er.
»Macht aber viel weniger Spaß. Sieh dir bloß den alten Phillips an!« Sie kicherte. »Der hat die letzten zwanzig Jahren keinen Spaß mehr gehabt, und so, wie er aussieht, weiß er nicht mal mehr, was das ist.«
»Ich glaub nicht, daß er je auf Spaß aus war.« Percival klang wieder ganz ernst, distanziert und ein wenig aufgeblasen. Das waren Männersachen, von denen eine Frau nichts verstand.
»Eigentlich wollte er zum Militär, aber die hätten ihn wegen seiner Füße nie genommen - und eine Stellung als Lakai konnte er mit den Beinen auch vergessen. Hätte nie 'ne Livree tragen können, ohne seine Strümpfe auszustopfen.«
Daß Percival keine künstliche Vergrößerung seiner Waden nötig hatte, war Hester bekannt.
»Seine Füße?« Rose verstand nichts. »Was stimmt denn nicht mit seinen Füßen?«
»Ist dir noch nie aufgefallen, wie merkwürdig er geht? Als ob ihm ein Glas hingefallen war und er auf die Scherben tritt. Hühneraugen, entzündete Fußballen, was weiß ich.«
»Was für ein Jammer«, sagte Rose trocken. »Er hätte 'nen prima Hauptfeldwebel abgegeben - war wie geschaffen dafür. Na, macht nichts, Butler ist bestimmt das nächstbeste, so wie er's angeht. Einfach klasse, wie er manche Gäste in ihre Schranken weist. Egal wer kommt, er kann die Leute mit einem einzigen Blick abschätzen. Dinah sagt, er macht nie einen Fehler, und du solltest mal sein Gesicht sehen, wenn er findet, daß sich jemand nicht wie ein Gentleman - oder eine Lady - benimmt, oder ihn nicht entsprechend zu würdigen weiß. Er kann unglaublich grob werden, bloß mit seinen Augenbrauen. Dinah sagt, sie hätte schon Leute gesehen, die sich unter seinem Blick am liebsten verkrochen hätten und vor Scham gestorben wären. So was bringt nicht jeder Butler fertig.«
»Jeder gute Dienstbote kann Klasse von Abschaum unterscheiden, oder er hat seine Stellung nicht verdient«, verkündete Percival hochtrabend. »Ich kann's jedenfalls - und ich weiß auch, wie man die Leute unter Kontrolle hält. Da gibt's Dutzende von Möglichkeiten; man tut so, als ob man die Glocke nicht hört, vergißt, das Feuer zu schüren, schaut jemand an, als ob er etwas wäre, das der Wind gerade ins Zimmer gefegt hat, und begrüßt dann die Person hinter ihm wie ein Mitglied des Königshauses. Ich kann das genausogut wie Mr. Phillips.«
Rose kehrte unbeeindruckt zum Ausgangsthema zurück.
»Trotzdem, wenn du Kammerdiener wärst, könnte er dir nicht mehr reinreden, Percy.«
Hester wußte, warum ihr sein Aufstieg so sehr am Herzen lag. Kammerdiener arbeiteten wesentlich enger mit den Wäschemägden zusammen als Lakaien. Es war ihr in den wenigen Tagen, die sie hier war, nicht entgangen, daß Roses kornblumenblauer Blick Percival auf Schritt und Tritt folgte, und sie war sich durchaus im klaren, was wirklich hinter dem unschuldigen Gehabe steckte.
»Schon möglich.« Percival gab sich demonstrativ desinteressiert. »Aber ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt in diesem Haus bleiben will.«
Das war eine
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