Gefährliche Trauer
läßt«, fuhr Cyprian angewidert fort. Er sah plötzlich wie ein verwundetes Tier aus.
Hester bekam zum erstenmal einen flüchtigen Eindruck, wie sehr ihm die ungebetene Einmischung zusetzte. Das Gemeine daran verseuchte sein Leben wie ein fauliger Gestank. Er behielt den Schmerz für sich, wie er es von Kindesbeinen an gelernt hatte. Kleine Jungs hatten tapfer zu sein, durften niemals jammern und nie weinen. Das war unmännlich und galt als verachtungswürdiges Zeichen von Schwäche.
»Es tut mir so leid für Sie«, sagte sie sanft, streckte eine Hand aus und legte ihre Finger um seine, ehe ihr bewußt wurde, daß sie momentan keine Krankenschwester war, die einem Verwundeten im Lazarett Trost zusprach, sondern ein Mitglied des Personals, darüber hinaus eine Frau, die ihrem Arbeitgeber in der intimen Atmosphäre seiner Bibliothek die Hand drückte.
Aber wenn sie plötzlich zurückzuckte und sich entschuldigte, lenkte sie die Aufmerksamkeit erst recht darauf und zwang ihn zu einer Reaktion. Sie würden beide furchtbar verlegen sein und den kurzen Augenblick tiefen Einverständnisses zu einer schmutzigen Lüge degradieren.
Statt dessen lehnte sie sich mit kaum merklichem Lächeln langsam zurück.
Zum Glück blieb Hester erspart, über ihre nächsten Worte nachdenken zu müssen, da die Tür aufsprang und Romola ins Geschehen trat. Sie warf einen flüchtigen Blick auf das traute Beisammensein, woraufhin sich ihre Miene im Handumdrehen verdüsterte.
»Sollten Sie nicht bei Lady Moidore sein?« erkundigte sie sich scharf.
Ihr Ton kränkte Hester, und sie beherrschte sich nur mit Mühe.
»Nein, Mrs. Moidore, Ihre Ladyschaft meinte, ich könne den Abend nach eigenem Wunsch gestalten. Sie wollte früh zu Bett.«
»Dann fühlt sie sich bestimmt nicht wohl«, parierte Romola auf der Stelle. »Sie sollten in der Nähe sein, falls sie Sie braucht. Können Sie nicht in Ihrem Zimmer lesen oder Briefe schreiben? Sie haben doch Freunde oder Familienangehörige, die gern etwas von Ihnen hören würden?«
Cyprian stand auf. »Ich bin sicher, Miss Latterly ist voll und ganz in der Lage, sich selbst um ihre Korrespondenz zu kümmern, Romola. Und sie kann nicht lesen, ohne sich vorher in der Bibliothek ein Buch geholt zu haben.«
Romolas Brauen wölbten sich spöttisch. »Waren Sie wirklich damit beschäftigt, Miss Latterly? Vergeben Sie mir, aber ich hatte einen anderen Eindruck.«
»Ich beantwortete gerade Mr. Moidores Fragen über den Gesundheitszustand seiner Mutter«, gab Hester steif zurück.
»Ach ja? Nun, wenn er jetzt zufriedengestellt ist, können Sie in Ihr Zimmer zurückkehren und tun, was Ihr Herz begehrt.«
Cyprian hob zu einer Erwiderung an, doch in dem Moment kam sein Vater herein. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Gesichter der Frauen und schaute dann seinen Sohn fragend an.
»Miss Latterly glaubt nicht, daß Mama ernsthaft krank ist«, sagte Cyprian verlegen. Er suchte offenbar nach einer gefälligen Erklärung.
»Hat vielleicht irgend jemand etwas anderes angenommen?« meinte Basil trocken, während er ins Zentrum des Raumes schritt.
»Ich nicht«, versicherte Romola schleunigst. »Sie leidet natürlich, aber das tun wir alle. Ich habe keine Nacht mehr richtig geschlafen, seit es passiert ist.«
»Miss Latterly könnte dir vielleicht etwas geben, damit das besser wird?« schlug Cyprian mit einem flüchtigen Seitenblick auf Hester vor. Er brachte ein geisterhaftes Lächeln zustande.
»Vielen Dank, ich weiß mir selbst zu helfen«, gab Romola spitz zurück. »Morgen nachmittag fahre ich übrigens zu Lady Killin.«
»Dazu ist es zu früh«, sagte Basil, ehe Cyprian etwas erwidern konnte. »Du solltest mindestens noch einen Monat zu Hause bleiben. Wenn es sein muß, kannst du sie hier empfangen.«
»Sie wird nicht kommen«, wandte Romola verärgert ein. »Es ist ihr bestimmt unangenehm, und sie wird nicht wissen, was sie sagen soll - was man ihr kaum übelnehmen kann.«
»Dann läßt es sich eben nicht ändern.« Für Basil schien das Thema bereits erledigt.
»Doch, ich werde zu ihr fahren«, wiederholte Romola, den Blick auf ihren Schwiegervater, nicht auf ihren Mann gerichtet.
Cyprian machte Anstalten, ihr ins Gewissen zu reden, wurde jedoch zum zweitenmal von Sir Basil nicht berücksichtigt.
»Du bist erschöpft«, sagte er kalt. »Es wird besser sein, du legst dich ein wenig hin und verbringst morgen einen ruhigen Tag.« Es bestand nicht der geringste Zweifel, daß es sich hierbei um
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