Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Titel entziffern konnte.
    »Du meine Güte. Haben Sie nichts Interessanteres gefunden? Wir haben jede Menge Romane und auch ein paar Gedichtbände - weiter rechts im Regal, glaube ich.«
    »Ja danke, ich weiß. Ich habe es absichtlich ausgesucht.« Sie registrierte seinen Unglauben und sein Staunen. »Der Tod Ihrer Schwester hat Lady Moidore meiner Ansicht nach schwer getroffen«, fuhr sie hastig fort. »Und die Polizei im Haus zu haben, ist nicht besonders angenehm. Trotzdem glaube ich nicht, daß sie einen Zusammenbruch erleiden wird. Es dauert immer eine Weile, bis der ärgste Kummer verarbeitet ist. Zorn und Fassungslosigkeit sind ganz normale Reaktionen, besonders wenn der Verlust unerwartet kommt. Stirbt jemand nach längerer Krankheit, hat man wenigstens Zeit, sich darauf vorzubereiten…«
    Er heftete den Blick auf den Tisch, der zwischen ihnen stand.
    »Hat sie etwas geäußert, wen sie für den Schuldigen hält?«
    »Nein, wir haben nicht über dieses Thema gesprochen - obwohl ich natürlich zuhören würde, wenn sie mir etwas anvertrauen will, vorausgesetzt, es geht ihr dann besser.«
    Er hob den Kopf, ein plötzliches Lächeln im Gesicht. An einem andern Ort, weit weg von seiner Familie und der bedrückenden Atmosphäre von Verdacht und Geheimniskrämerei sowie der leidigen Tatsache, daß sie ein Dienstmädchen war, hätte sie ihn vermutlich gemocht. Hinter seiner zurückhaltend vorsichtigen Art schlummerten Humor und Intelligenz.
    »Sie halten nicht für nötig, einen Arzt zu Rate zu ziehen?«
    »Ich glaube nicht, daß ein Arzt ihr helfen kann«, erwiderte Hester freimütig. Sie überlegte, ob sie ihm sagen sollte, was sie wirklich dachte, oder ob er sich dann nur noch mehr Sorgen machen würde. Außerdem läge dadurch auf der Hand, daß sie die mitgehörten Gespräche nicht vergessen hatte und sich ihre Gedanken darüber machte.
    »Was ist?« Ihre Unschlüssigkeit war ihm nicht entgangen »Bitte, Miss Latterly, sagen Sie's mir.«
    »Ich glaube, sie fürchtet zu wissen, wer Mrs. Haslett umgebracht hat, und daß es Mrs. Kellard großen Kummer bereiten wird. Ich denke, sie zieht sich lieber zurück und schweigt, als mit der Polizei zu sprechen und diese herausfinden zu lassen, was sie denkt.« Sie beobachtete ihn abwartend.
    »Verdammter Myles!« Cyprian sprang zornig auf und wandte sich ab. Seine Stimme klang zwar wütend, aber nicht sonderlich überrascht. »Papa hätte ihn rausschmeißen sollen, nicht Harry Haslett!« Er drehte sich wieder zu ihr. »Es tut mir leid, Miss Latterly. Bitte entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise. Ich…«
    »Schon gut, Mr. Moidore, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, warf Hester rasch ein. »Unter solchen Umständen würde jeder die Beherrschung verlieren, der nur ein bißchen Gefühl hat. Die ständige Anwesenheit der Polizei und das unentwegte Rätselraten müssen einen ja verrückt machen - es sei denn, man ist ein Dummkopf, der nichts begreift.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Obwohl es eine gängige Redewendung war, wußte sie, daß es nicht nur als oberflächlich hingeworfenes Kompliment gemeint war.
    »Die Presse schlachtet das Ganze vermutlich immer noch aus?« fragte sie, um das Schweigen zu überbrücken.
    Er ließ sich dicht neben ihr auf der Sessellehne nieder. »Jeden Tag aufs neue. Die Bessergestellten üben scharfe Kritik an der Polizei, was ausgesprochen ungerecht ist; sie tut zweifellos alles, was in ihrer Macht steht. Man kann uns kaum der spanischen Inquisition übergeben und foltern lassen, bis irgend jemand gesteht…« Er lachte abgehackt - ein kläglicher Versuch, seine wahren Gefühle zu kaschieren. »Und die Leute von der Presse wären die ersten, die sich beschweren würden, wenn sie's tatsächlich täten. In einer solchen Situation kann die Polizei es keinem recht machen. Geht sie zu grob mit uns um, heißt es, sie vergißt ihren Rang und schikaniert die Oberschicht, ist sie zu nachsichtig, wirft man ihr Gleichgültigkeit und Inkompetenz vor.« Er holte Luft und ließ sie mit einem Seufzer entweichen.
    »Ich könnte mir vorstellen, der arme Teufel verflucht den Tag, an dem er clever genug war zu beweisen, daß der Täter unter diesem Dach lebt. Aber er sieht auch nicht wie jemand aus, der immer den leichtesten Weg geht…«
    »Nein, allerdings nicht«, pflichtete Hester ihm mit mehr Erfahrung und Inbrunst bei, als er ahnen konnte.
    »Und die Sensationspresse stürzt sich natürlich auf jede schmutzige Möglichkeit, die sich denken

Weitere Kostenlose Bücher