Gefaehrliche Versuchung
würde sich immer wünschen, dass er stattdessen sie gewählt hätte.
Als Harry am nächsten Morgen aus dem Bett stieg, betrachtete Kate versonnen die Schönheit seines starken schlanken Körpers. Sie erlaubte sich, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie er sich unter ihren Händen, zwischen ihren Schenkeln, in ihrem Inneren angefühlt hatte. Eine Weile musste sie gegen die Tränen ankämpfen. Sie war wütend auf sich selbst, dass sie mit einem Mal Schwierigkeiten hatte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Und weil sie nicht wusste, wie sie sonst damit fertig werden sollte, stand sie ebenfalls auf und begann ihren Tag.
Als Erstes zog sie sich ihr hellstes, buntestes Tageskleid an. Es war ein wundervolles Kleid aus fließendem mohnrotem Sarcenet-Stoff mit goldenen Stickereien. Nachdem sie Harry losgeschickt hatte, um die Kisten ihres Onkels zurückzubringen, frühstückte sie mit Bea und kehrte dann in die Bibliothek zurück, um die letzten Bücher nach dem Vers zu durchsuchen.
Es dauerte keine Stunde, bis sie sich den Misserfolg eingestehen musste. »Es ist nicht hier«, sagte sie und ließ sich, William Blakes Lieder der Unschuld in der Hand, auf einen Stuhl fallen. »Und jetzt?«
Bea sah von Shakespeares Sonetts auf, die sie gerade prüfte. » Hatchards. «
Kate seufzte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Hatchards Buchladen irgendein Buch gibt, das ich nicht habe.« Sie wies mit einem Kopfnicken in den Raum. »Das sind die Gedichte, die ich lese.«
»Immer?«
»Na…« Kate blickte auf. Ihr war ein neuer Gedanke gekommen. Sie sah sich um, betrachtete vor ihrem inneren Auge allerdings nicht mehr diese Bibliothek. Sie dachte zurück. »Das hier sind die Dichter, die ich in den letzten fünf Jahren gesammelt habe«, erklärte sie. »Doch davor …«
Sie schloss die Augen, um sich die Erinnerungen besser ins Gedächtnis rufen zu können. Die Dunkelheit. Sie sah es plötzlich so deutlich vor sich, als hätte sie es gerade erst zur Seite gelegt. Es war in einer kleinen Nische versteckt, die sie in der Ecke des Priesterlochs gebaut hatte. Ihre Kerze lag wahrscheinlich noch immer daneben.
»Ich weiß es«, sagte sie erstaunt. Sie hätte es schon längst wissen müssen. Sie hätte die Worte wiedererkennen müssen. »Ich weiß, wo das Gedicht ist.«
Bea wirkte nicht überrascht. » Moorhaven? «
Kate nickte. Innerlich war sie noch immer im Dunkeln, neben ihrem versteckten Schatz. Sie hatte sich wie eine Rebellin gefühlt, weil sie in ihrer Zelle diese verbotenen Früchte aufbewahrt hatte. Ob das Buch noch immer dort war? Sicherlich hatten andere Kinder ihre Nische in der Zwischenzeit entdeckt.
»Ich habe früher Bücher in das Priesterloch geschmuggelt«, erzählte sie Bea. »Ich habe dieses Buch ganz oben im Regal gefunden. Hinter der Ausgabe von … oh, Gassendis Das Leben des Epikur. « Sie lachte leise. »Niemand außer mir hat lateinische Geschichte gelesen. Und deshalb hat derjenige, der das Buch dort hingelegt hat, es für ein sicheres Versteck gehalten. Einer meiner Vorfahren hat die Gedichte geschrieben. Das Buch war in sehr hübsches weinrotes Leder mit goldener Prägung gebunden. William Marshall Hilliard. Es existierten drei Kopien, die dort versteckt waren, wo Frauen und Kinder sie nicht finden würden.«
»Radikal?«
»Himmel, nein. Anstößig. Lass mich kurz nachdenken.« Sie legte den Kopf schräg und versuchte, sich den verbotenen Text ins Gedächtnis zu rufen. »Der Titel lautete Grab der Tugend oder so ähnlich – nach einer Zeile in einem Gedicht von Marvell. Ich glaube, der Vers bei Marvell hieß: ›Siehst du die unberührte Höhle? Die Grotte? Schrein der Liebe. Grab der Tugend.‹ Sehr sündhafte Worte für ein dreizehnjähriges Mädchen. Scheußliche Poesie, aber sehr erregend.« Sie grinste. »Die Gedichte meines Ahnen. Nicht Marvells Poesie. Marvell war fabelhaft und erregend.«
»Sinn?«
»Jetzt?« Kate schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Einen Moment lang saß sie still da. Die Erinnerungen prasselten auf sie ein, die Essenz der Angst und des Verlustes, mutiger, heimlicher Triumph. Das Buch hatte geholfen, sie zu befreien. Es war ihr Beweis für das Überleben, das Zeugnis, dass sie – egal, was man ihr antat – doch gewinnen konnte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Buch noch irgendwo existiert außer im Besitz eines Hilliards. Onkel Hilliard muss es gefunden haben. So zweifelhaft es ist, ist es wahrscheinlich die perfekte Vorlage für einen
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