Gefährlicher Fremder - Rice, L: Gefährlicher Fremder
richtige Wetter, um mit abgefahrenen Reifen unterwegs zu sein. Ich bringe dich in die Stadt und hol dich wieder ab, bis es aufklart.«
Noch vor ein paar Tagen hätte Caroline dagegen Einwände erhoben, allein schon aus Stolz. Aber am Freitagabend wäre sie um ein Haar ums Leben gekommen, und darum schwieg sie jetzt.
Er half ihr in den Mantel.
Caroline befühlte seine Jacke. »Du brauchst unbedingt wärmere Sachen.«
»Ich weiß. Ich kauf mir heute welche.«
»Der billigste Laden in der Stadt ist Posy’s, und der Winterschlussverkauf hat bereits angefangen, also solltest du etwas Günstiges finden. Oder du könntest es in der Clothes Factory in der State Street versuchen. Da gibt es Secondhand-Kleidung, manchmal haben sie richtig gute Sachen. Ich kaufe ziemlich oft da ein. Mir gefällt es gar nicht, dass du bei diesem Wetter nur in dieser Jacke rumläufst.«
Er blickte mit dunklen, unergründlichen Augen auf sie hinab. »Mir geht’s gut«, sagte er leise. »Mach dir keine Sorgen um mich.«
Mach dir keine Sorgen. Caroline hätte fast geseufzt. Sie machte sich jetzt schon seit so vielen Jahren um alles und jedes Sorgen, dass sie vergessen hatte, wie es war, sich keine Sorgen zu machen.
Sie blickte zu ihm auf, die Hände immer noch auf seiner Jacke. Sie versuchte Zeit zu schinden und wusste auch genau, warum. »Ich möchte nicht rausgehen«, flüsterte sie.
Er nahm ihre Hand und führte sie an seinen Mund. »Nein«, sagte er einfach.
Draußen war es kalt und trostlos, eine andere Welt. Eine Welt voller Probleme und Not. Drinnen war es warm und sicher, und nichts konnte ihr etwas anhaben.
Caroline trat einen Schritt vor, legte ihre Arme um seine schmale Taille und schmiegte sich an ihn. Sofort umarmte er sie. Es gab durchaus Gründe, die dafür sprachen, sich nicht zu vermummen – sie konnte seinen Herzschlag hören, stark und ruhig. Genau wie er.
Auf einmal überkam sie die grauenhafte Vorstellung, dieses Wochenende wäre nur eine Fata Morgana gewesen. Vielleicht hatte sie Jack Prescott ja nur aufgrund ihrer Depressionen und ihrer Einsamkeit erfunden. Er hatte immer nur gegeben, sie mit Wärme erfüllt, ihr eine Sinnlichkeit gezeigt, deren Existenz sie nicht einmal geahnt hatte.
»Ich kann dir gar nicht sagen, was dieses Wochenende für mich bedeutet hat«, flüsterte sie, eng an ihn gedrückt. Das Glück, das sie verspürt hatte, erschien ihr wie Rauch, der sich bereits in der Luft auflöste. Je mehr sie sich bemühte, es festzuhalten, umso schneller verschwand es.
Es jagte ihr Angst ein, vor die Haustür zu treten, als ob sie ein verzaubertes Schloss verließe, um Löwen und Tigern entgegenzutreten.
Jack gab ihr einen Kuss oben auf den Kopf und trat zurück. Seine Augen waren wie dunkle Flammen. »Entweder gehen wir jetzt«, sagte er, »oder wir gehen zurück ins Bett. Wie du willst.«
Wenn das so war … Wollte sie wirklich den ganzen Tag in ihrem Laden stehen, mit vielleicht drei Kunden im Lauf des Vormittags, wenn sie Glück hatte, die Buchhaltung machen – was sie jedes Mal zusammenzucken ließ – und sich nur danach sehnen, dass der Tag endlich vorüberging, oder wollte sie den Tag mit Jack im Bett verbringen und mit fabelhaftem Sex verwöhnt werden?
Schwierige Entscheidung.
Aber sie war nun mal ein pflichtbewusster Mensch, und zum Mittagessen war sie mit Jenna verabredet, also seufzte sie und sagte: »Dann gehen wir jetzt.«
Jack öffnete die Tür und geleitete sie mit einer Hand an ihrem Rücken hinaus. »Du kannst den Tag ja dazu nutzen, dir zu überlegen, was du mir zum Abendessen kochst.«
Er lachte und wich geschickt ihrem Ellbogen aus.
Jack musste eines der härtesten Dinge tun, die er in seinem nicht einfachen Leben je getan hatte. Er überwies keinen beträchtlichen Geldbetrag auf Carolines Konto. Nein, nein, nein . Er musste fest die Zähne zusammenbeißen, um sich daran zu hindern, aber er schaffte es.
Er befand sich bei einer Bank in Summerville. Es war ganz gleich, welche es war – er hatte diese ausgesucht, weil sie gleich neben einem Starbucks lag und er auf diese Weise seine Bankgeschäfte erledigen und gleichzeitig einen guten Kaffee trinken konnte. Das einzig Wichtige war, dass es nicht Carolines Bank war.
Er wusste, bei welcher Bank sie ihr Konto hatte. Er wusste auch, wie viel Geld sie auf ihrem Konto hatte, und er wusste, wie hoch ihre Schulden waren. Sie war bei der Central Savings & Loan, auf ihrem Girokonto befanden sich weniger als 1000 Dollar – jetzt fast
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