Gefährlicher Fremder - Rice, L: Gefährlicher Fremder
gleich null war. Es war praktisch nicht möglich zu erkennen, wo sich die Kreuzungen befanden. Der einzige sichere Weg, um das herauszufinden, lag darin, mit einem anderen Wagen zu kollidieren.
»Bleiben Sie ungefähr eine Dreiviertelmeile auf dieser Straße, dann biegen Sie rechts ab. Ich werde versuchen, sie zu führen.«
»Okay«, sagte er ruhig. Er fuhr wesentlich schneller, als sie es gewagt hatte. Normalerweise hätte sie etwas gesagt – schnelles Fahren machte ihr Angst –, aber er hatte den Wagen offensichtlich vollständig unter Kontrolle, und je rascher sie nach Hause kamen, desto glücklicher war sie.
Sie sah aus dem Fenster und versuchte, einen Orientierungspunkt zu entdecken. Aber es war völlig willkürlich, ob und wann sie überhaupt etwas zu sehen bekam. Ab und zu hob eine heftige Windbö den Schneevorhang gerade eine Sekunde lang. Sie erkannte die Bänke vor dem Zaun, der den Grayson Park umschloss, dann den großen Weihnachtsbaum an der Ecke von Center Street und Fife Street, und dann …
»Hier«, sagte sie plötzlich erleichtert. »Hier müssen Sie rechts abbiegen.«
Er bog so sanft um die Ecke, dass man hätte meinen können, sie unternähmen eine kleine Spritztour an einem milden Sommerabend. Caroline zählte die Laternenpfähle ab und begann sich zu entspannen. Nur noch fünf Minuten und sie waren zu Hause. »Die erste Straße links, die zweite rechts und dann ist es die vierte Einfahrt auf der rechten Seite.«
Der Wagen hielt genau vor der Garage. Caroline schloss die Augen und atmete zum ersten Mal, seit sie in den Wagen gestiegen war, tief durch.
Zu Hause. Sie war zu Hause.
Na ja, noch nicht ganz. Sie starrte hasserfüllt auf das rostige Garagentor.
Zeit für eine weitere Entschuldigung. »Tut mir leid«, sagte sie zerknirscht, während sie mit nach wie vor zitternden Händen in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln kramte. »Aber die Fernbedienung funktioniert nicht. Das Tor muss manuell geöffnet werden. Ich mach das schon.«
»Nein.« Er streckte die Hand aus und nahm ihr die Schlüssel ab. »Steigen Sie nicht aus. Ich kümmere mich darum.«
Ihr Boiler mochte ja seine Launen haben, aber das Garagentor war absolut zuverlässig. Man konnte sich darauf verlassen, dass es nicht funktionierte. Es kostete sie viel Muskelkraft und Zeit und den ein oder anderen abgebrochenen Fingernagel, um den Schlüssel in dem rostigen Schloss herumzudrehen und das Tor zu öffnen.
»Sind Sie sicher? Ich kann …«
Wieder die Berührung seiner großen Hand. Wärme und Beruhigung, bewusste Sinnlichkeit – das alles traf sie wie ein Schlag und verschwand sofort, als er die Hand wegnahm. Nach seiner Berührung setzten erneut die Kälte und die Nachwirkungen der Panik ein.
»Ich bin sicher.«
Sie beobachtete ihn, wie er sich im Licht der Scheinwerfer bückte und das Tor anhob, als ob es brandneu, frisch geölt und leicht wie eine Feder wäre. Eine Sekunde später befanden sie sich in der Sicherheit der Garage.
Zu Hause. Jetzt waren sie wirklich da.
Als Caroline aus dem Wagen stieg, musste sie ihren Knien den ausdrücklichen Befehl erteilen, sich zu strecken. Ihre Beine zitterten. Genau genommen zitterte sie nach dem Beinahezusammenstoß am ganzen Leib, ein tiefes, fast unkontrollierbares Beben. Die Schlüssel in ihrer Hand rasselten. Sie musste die Hand zur Faust ballen, damit der Lärm aufhörte.
»Vielen Dank«, sagte sie ein weiteres Mal zu diesem großen Mann über das Dach des Autos hinweg. Ihre Blicke trafen sich, seine Augen waren dunkel und unergründlich. »Ich schulde Ihnen …«
Er hob eine riesige Hand und schüttelte den Kopf. »Bitte nicht. Am besten gehen wir einfach rein.« Er nahm sein Gepäck und ihre Aktentasche. »Gehen Sie vor, ich folge Ihnen.«
Caroline öffnete die Tür zum Haus mit gedrückten Daumen, angespannt. Sie rechnete mit dem Schlimmsten.
Gott sei Dank war das Schlimmste nicht eingetreten. Noch nicht.
Die Temperatur der Luft lag zumindest über dem Gefrierpunkt und sie spürte ein leichtes Summen irgendwo unter ihren Füßen. Sie entspannte sich ein wenig. Heute war der Heizkessel nicht ausgegangen. Sie hatte ihn auf das Minimum eingestellt, damit die Rohre nicht einfroren, was regelmäßig passierte, wenn der Boiler ausfiel. Aber heute lächelten die Heizungsgötter milde auf sie herab. Das war auch besser so angesichts der Nummer, die sie letzte Woche mit ihr abgezogen hatten.
Die Temperatur war ungemütlich niedrig, aber solange der Heizkessel
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