Gefaehrlicher Liebhaber - Jagd auf Jack the Ripper
wir ein Glas Champagner nehmen, liebe Freundin?“, wandte Mont-Angus sich an St. Johns Mutter.
„Ah, ja. Sehr gerne, mein Lieber. Richard? Du begleitest uns?“
Jetzt, da das Gedränge schier unüberwindbar zu werden schien, sich Seide an Samt und Frack gegen Cut presste, geleitete ein livrierter Diener die kleine Gesellschaft bis zu einem lang gezogenen Tisch, an dem eisgekühlter Champagner und diverse Delikatessen ausgegeben wurden.
Als ein Diener ihnen Champagnerflöten reichte, atmete St. John auf, hatte er doch befürchtet, er würde sein Glas aus Mont-Angus’ Hand entgegennehmen müssen.
Jener Hand, die Kieran berührt hatte, ihn festgehalten. Er spülte den ekelerregenden Geschmack in seinem Mund mit dem sanft prickelnden Getränk hinunter. In einem Zug hatte er sein Glas geleert. Anstatt ihn zu ermatten oder seine Sinne zu vernebeln, erreichte der Champagner das Gegenteil: Er erlangte seine Fassung zurück, straffte sich innerlich und überlegte sich jeden seiner Schritte.
Und da war auch der Duft, den der kleine Flakon von Mary Kellys Nachttisch im Salon seiner Mutter verströmt hatte. Mit einem weiteren Glas schaffte er es, den Geruch zu beseitigen.
„Sie sind also Arzt, Mr. Mont-Angus?“
„Ja. Mit aller Leidenschaft, derer ich fähig bin.“
Das Lächeln wanderte durch das Gesicht seines Gegenübers, wie ein Fremder durch ein fremdes Land. Seine Augen waren noch immer eisig, ohne die schützende Bewegung eines Lidschlags.
„Wie geht es seiner Königlichen Hoheit?“, erkundigte seine Mutter sich freundlich nach dem Wohlergehen des Thronfolgers. Eine Gänsehaut wanderte über St. Johns Rücken, als er spürte, dass sich Mont-Angus’ Blicke an ihm förmlich festgebissen zu haben schienen.
„Er ist wohlauf. Danke der Nachfrage. Soweit ich informiert bin, solle er heute Abend ebenfalls anwesend sein. Was natürlich eine ganz besondere Auszeichnung für die Aufführung bedeuten würde.“
„Oh, Ihr entschuldigt mich … ich habe gerade eine liebe Freundin entdeckt.“
Sie verbeugten sich in Richtung von St. Johns davoneilender Mutter. Als habe es keinerlei Unterbrechung gegeben, ruhten im gleichen Moment, da sie sich wieder einander zuwandten, Mont-Angus’ Augen auf St. John.
Dies ist eine Sache zwischen dir und mir, dachte er.
„Nehmen Sie noch ein Glas?“ Mont-Angus’ Stimme hatte sich gewandelt. Sie hatte einen samtig-schmeichelnden Ton angenommen und er war einen winzigen Schritt auf St. John zugetreten.
Ein Diener mit Tablett war stehen geblieben und wartete, dass sie sich bedienten. Als St. John nach einem weiteren Glas griff, bemerkte er bestürzt, dass die Hand des anderen auf seinem Handgelenk ruhte und mit den Fingerspitzen die Haut seines Handrückens berührte. Ein Würgen schnürte ihm die Kehle zu und er widerstand im letzten Moment dem Reflex, diese Hand wie einen ekelerregenden Käfer abzuschütteln.
„Aus dem kleinen Burschen mit den dicken Backen und den wirren Locken ist ein ausnehmend gut aussehender Mann geworden, Richard St. John.“
Mont-Angus’ Stimme war so leise, dass er den vollständigen Satz mehr ahnte, denn wirklich hörte. Allein die Art, wie er sprach, hätte in manchen Kreisen unweigerlich eine Duellforderung zur Folge gehabt. Doch St. John hatte anderes im Sinn. Und wenn es das Letzte wäre, was er als Polizist tun würde …
Er raffte sich zusammen, hielt für einen Moment die Luft an, konzentrierte sich auf den verhaltenen Strom und hob seine Augen zu seinem Gegenüber auf. Eine frostige Woge schwappte über ihn hinweg.
„Ausnehmend attraktiv … du hast doch sicher eine … Herzensdame … wie? Richard St. John …“
Jetzt atmete er aus. Ließ die Luft langsam und ruhig ausströmen.
„Nein. Nein, ich habe keine Herzensdame, denn ich halte nicht viel von Frauen. Außer von meiner Mutter.“
„Eine wirklich große Schönheit. Die größte, die England derzeit zu bieten hat, wenn man mich fragt.“
Es war das Flüstern eines Mephistopheles, das St. John umgab.
„Hier herrscht ein unglaubliches Gedränge. Man kann kaum atmen …“
Die Hand glitt von seinem Handgelenk und bewegte sich langsam an seinem Arm herab. Gerade, als St. John dachte, er würde ihn loslassen, ergriff Mont-Angus einen kleinen Zipfel von seinem Ärmel und zog ihn mit sich. Sie entfernten sich immer weiter von der Wandelhalle. Bald schlenderten sie die gewaltige Freitreppe hinab, wo sich nur noch wenige Gäste befanden.
„Wollen wir ein wenig plaudern?
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