Gefährlicher Verführer
bauen, hinter der sie sich
verstecken konnte.
Kapitel
3
S yndil blickte Tempest
unverwandt an. Dann atmete sie langsam mit einem leisen Zischen aus. Sie setzte
sich, beugte sich vor und versuchte, Tempests Gesichtsausdruck zu deuten. »Aber
es ist dir geschehen. Nicht diesmal, aber in deiner Vergangenheit. Du weißt,
wie es ist. Die Angst. Das Ekelgefühl.« Ihre Augen funkelten wie schwarzes Eis,
wie Juwelensplitter. »Ich habe mich damals dreieinhalb Stunden lang geschrubbt,
doch selbst Monate später fühle ich mich noch nicht wieder sauber.« Sie strich
sich mit den Händen über die Arme, und ihr Kummer war nur allzu deutlich in
ihren großen Augen zu erkennen.
Tempest warf einen Blick
auf die Küche, um sich zu vergewissern, dass Darius sie nicht hören konnte.
»Du solltest dir Hilfe suchen. Es gibt Organisationen, Syndil, Menschen, die
dir dabei helfen können, dein Leben wieder in Ordnung zu bringen.«
»Hast du dort Hilfe
gesucht?«
Tempest schluckte schwer
und spürte wieder die Übelkeit in sich aufsteigen, die jedes Mal kam, wenn sie
an diese Zeit ihres Lebens zurückdachte. Sie schüttelte den Kopf und presste
sich die Hand auf den Bauch. »Ich war nicht in der Lage, mir helfen zu lassen.
Damals versuchte ich einfach zu überleben.« Einmal mehr blickte sie zur Küche
hinüber und senkte dann wieder die Stimme. »Ich habe meine Eltern nie wirklich
gekannt. Meine frühesten Erinnerungen spielen sich in einem schmutzigen Zimmer
ab, in dem ich auf dem Fußboden essen musste und dabei zusah, wie sich
Erwachsene Nadeln in Arme und Beine stachen - in jede Vene, die sie nur finden
konnten. Ich wusste nicht, ob meine Mutter oder mein Vater unter diesen
Menschen waren. Manchmal sammelten mich die Behörden ein und steckten mich in
eine Pflegefamilie, aber meistens lebte ich auf der Straße. Ich habe gelernt,
Drogendealer, Zuhälter und alle anderen Männer abzuwehren, die mir etwas
hätten antun können. Das war mein Leben, viele Jahre lang kannte ich nichts
anderes.«
»Und damals ist es
geschehen?«, fragte Syndil. Ihr Blick war so von Schmerz erfüllt, dass Tempest
sie am liebsten in die Arme geschlossen hätte. Doch gleichzeitig wünschte sie
sich, einfach fortzulaufen, um sich nie wieder an diese Zeit in ihrem Leben
erinnern zu müssen. Sie konnte es nicht ertragen, nicht nachdem Harry sie
gerade angegriffen hatte.
»Nein, es wäre vielleicht
leichter für mich gewesen, wenn es ein schmieriger Säufer oder Drogenabhängiger
gewesen wäre oder einer der Zuhälter, aber es war jemand, dem ich vertraute«,
gestand Tempest mit leiser Stimme. Zwischen ihr und Syndil schien eine
Verbindung zu bestehen, das unausgesprochene Verständnis des schrecklichen
Traumas, das sie miteinander teilten.
»Ja, bei mir war es auch
jemand, den ich liebte und dem ich vertraute«, bekannte Syndil kaum hörbar.
»Und jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich überhaupt noch jemandem vertrauen soll.
Ich fühle mich, als hätte er diesen Teil meiner Seele getötet. Ich kann nicht
mehr in der Band spielen. Ich liebe die Musik, sie war immer ein Teil von mir,
und jetzt vermag ich sie nicht mehr zu hören. Ohne Musik fühle ich mich wie
tot. Doch ich ertrage es nicht, mit einem der Männer allein zu sein. Dabei bin
ich mit ihnen aufgewachsen und habe sie immer als meine Familie betrachtet. Ich
weiß, dass sie sich Sorgen um mich machen, doch ich kann das Geschehene nicht
ändern.«
Tempest wickelte sich eine
rotgoldene Haarsträhne um den Finger. »Du musst wieder leben, Syndil, nicht einfach
nur existieren. Du darfst nicht zulassen, dass er dir deine Freude und
Leidenschaft raubt.«
»Aber gerade das hat er
getan. Ich liebte ihn wie einen Bruder. Ich hätte alles für ihn getan. Doch er
war so grausam, und seine Augen waren so kalt, als er mich überfiel. Er schien
mich zu hassen.« Syndil wandte sich ab. »Es hat uns alle verändert. Die Männer
betrachten einander jetzt mit Misstrauen. Da Savon sich so unerwartet verändert
hat, könnte es vielleicht jedem von ihnen geschehen. Darius leidet schrecklich
darunter, denn er ist der Älteste und fühlt sich verantwortlich. Ich habe
versucht, ihm zu erklären, dass es nicht seine Schuld war, aber er hat immer
für uns gesorgt und uns beschützt. Wenn ich nur über dieses schreckliche
Erlebnis hinwegkommen könnte, würde es ihm leichter fallen, aber ich kann es
einfach nicht.« Syndil betrachtete ihre Hände. »Auch die anderen behandeln mich
anders als früher. Insbesondere Barack
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