Gefährliches Begehren
sie von dem Nadelgeld, das mein Vater ihr zuteilte, gekauft hatte. Meine Schwestern und ich haben am Weihnachtsmorgen immer die kleinen Kerzen auf den Zweigen angezündet. Dann sangen unsere Diener ein paar Weihnachtslieder, und in diesem Augenblick waren wir für kurze Zeit die liebevollste Familie, die man sich vorstellen kann.«
Sie legte den Kopf schief. »Ich weiß nicht, ob sie immer noch die Kerzen anzünden. Ich weiß nicht, was Alberta und Antonia am Baum finden. Ich werde nie mehr den Rosinenkuchen unserer Köchin probieren. Wenn meine Schwestern heiraten, werde ich nicht eingeladen. Wenn mein Vater stirbt, werde ich bei der Beerdigung unerwünscht sein.« Wieder schlug sie auf das Polster, diesmal mit beiden Händen. »Die haben mich weggeworfen, Wyndham! An
einem Tag war ich ihre geliebte Tochter, am nächsten Tag nur noch Müll!«
Glänzende Tränen der Wut und des Schmerzes schwammen in ihren smaragdgrünen Augen, aber sie war zu stolz, als dass sie sie vergossen hätte, während sie ihn böse anstarrte. »Was würdet Ihr tun, Mylord? Würdet Ihr das einfach hinnehmen? Würdet Ihr die andere Wange hinhalten, oder würdet Ihr die Gelegenheit zur Rache ergreifen?«
Er konnte ihr nicht antworten, denn ehrlich gesagt war er sich nicht länger sicher, was er sagen sollte. Er wandte den Blick ab, verschloss sich vor der schmerzenden Lebendigkeit ihrer Pein. »Lasst nicht zu, dass Euer … Euer Vorhaben mein Ziel beeinträchtigt, Lady Alicia«, sagte er tonlos. »Oder unsere Vereinbarung ist beendet.« Er drehte sich um und beendete damit die Diskussion. Seine Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Seine übliche Gelassenheit war dahin.
Er war kein Familienmensch. Seine Mutter war eine oberflächliche, sprunghafte Frau, die selbst in seiner Kindheit an ihrem schillernden Partyleben festgehalten hatte. Seine einzige andere Verwandte, seine Kusine Lady Jane Pennington, hatte er erst vor wenigen Jahren kennengelernt. Er hatte nie ein solches Weihnachten erlebt, wie Lady Alicia es beschrieben hatte. Und doch sehnte er sich für einen einzigen atemlosen, endlosen Augenblick mit einer solchen Leidenschaft danach, dass er jene, die es Lady Alicia genommen hatten, mit dem Schwert dafür bestrafen wollte.
Aber er war kein Ritter, der die schöne Jungfrau rettete. Er konnte nicht zulassen, dass Gefühle seinen fest verwurzelten Glauben erschütterten. Er würde Lady Alicia bei ihrem Vorhaben nicht unterstützen.
Doch, so entschied er mit plötzlicher, unstatthafter Erleichterung,
er würde sich ihr dabei auch nicht in den Weg stellen.
Er runzelte die Stirn und wandte sich ihr wieder zu. »Ich habe kein Interesse daran, Eure finsteren Pläne zu unterstützen. Ihr kehrt nur aus einem einzigen Grund in die Gesellschaft zurück – um jenen Mann zu finden.«
Sie nickte. »Ich weiß. Das ist ja so herrlich an Eurem Vorhaben. Es erfüllt ohne weiteres Zutun auch meinen Plan. Allein meine Anwesenheit an Eurer Seite wird meine ehemalige Familie in einen Strudel aus Klatsch und Diskussionen stürzen. Ihr größter Wunsch ist es, dass niemand mehr an jenen Zwischenfall denkt. Ich habe vor, das bis in alle Ewigkeit unmöglich zu machen.«
Dann schien sie ihre Schwäche erneut zu überwältigen. Sie erhob sich wankend. »Wenn Ihr empfindlich seid, solltet Ihr besser rasch gehen.« Millie eilte sofort an ihre Seite, doch sie war selbst nur eine schwache Stütze.
Er verkrampfte. »Das bin ich nicht.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wisst Ihr, wenn wir überzeugend wirken wollen, dann müsst Ihr schon etwas lockerer werden und Euch wie ein echter Liebhaber verhalten.«
Er schaute sie ausdruckslos an. »Ich werde Euch zu jeder Veranstaltung begleiten und wieder nach Hause bringen. Ich werde Euch zur Seite stehen. Ich werde mit Euch tanzen. Ich werde Euch genau so behandeln, wie ich es mit einer Geliebten täte.«
Sie kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief. »Was eindeutig beweist, wie einsam Ihr tatsächlich seid.« Sie humpelte am Arm ihrer Freundin aus dem Zimmer, wobei ihr schlecht sitzendes Kleid wie ein Sack an ihrem geschwächten Körper hing.
»Ich sehe Euch in einer Woche«, wiederholte Stanton. »Meldet Euch bei mir, wenn es Probleme hinsichtlich unseres Arrangements geben sollte.«
Als Antwort winkte sie ihm schwach zu, ohne sich umzudrehen. Dann war sie verschwunden. Stanton blieb allein in ihrem abgewohnten Salon zurück und musste den Weg zum Ausgang ohne fremde Hilfe finden.
Rüde, eigensinnig und
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