Gefährliches Begehren
seines Selbst und verbarg ihn tief in seinem Innern. Er konnte diesen Mann töten, indem er sich einfach für den Rest seines Lebens von Frauen fernhielt.
Seit zehn Jahren hatte er keine Frau mehr berührt, noch
hatte er Alkohol zu sich genommen, ja, noch nicht einmal seinen Rock hatte er in der Anwesenheit eines anderen als seines Kammerdieners ausgezogen.
Und an diesem einen Abend hatte er all das bereits getan.
Sei es drum. Er musste darauf gefasst sein, auf dem Schlachtfeld Zugeständnisse machen zu müssen. Er erinnerte sich sehr wohl daran, wie man verdeckt ermittelte. Er mochte ein wenig aus der Übung sein, aber er war einst im Auftrag des vorherigen Falken sehr aktiv gewesen.
Und außerdem war es ja nicht so, dass er sich selbst aufgab, wenn er einen Brandy trank oder flüchtig die Wange einer Frau berührte.
12. Kapitel
A uf ihrem Weg zu dem Tisch, wo das Personal die Gläser mit alkoholischen Getränken einschenkte, sah Alicia viele Personen, die sie entweder dem Namen nach oder vom Sehen kannte. Sie winkte den Frauen fröhlich zu und lächelte die Männer verführerisch an. Sie hatte an diesem Abend mit jedem der anwesenden Männer gesprochen und meist gar nicht auf die Wörter geachtet, sondern sich voll und ganz auf die Stimmen konzentriert.
Jetzt musste sie sich eingestehen, dass der geheimnisvolle Lord nicht da war. Außerdem empfand sie es als reichlich ermüdend, derart im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit zu stehen. Obschon Wyndhams Bemerkung sie immer noch schmerzte und der Gedanke, mit ihm das Schlafzimmer zu teilen, ihr noch immer als Drohung erschien, so sehnte sie sich allmählich doch danach, dass der Abend zu Ende ging.
Sie nahm ein Glas mit etwas Eisgekühltem, dann schlüpfte sie hinter eine Säule, wo sie vom Rest des Ballsaales aus nicht gesehen werden konnte.
Drei Damen näherten sich ihr unschlüssig, als könnten sie sich nicht entscheiden, ob sie sie begrüßen oder schneiden sollten.
Alicia wusste, wer sie waren, obwohl sie sie nie persönlich kennengelernt hatte. Diese drei füllten die Klatschspalten wie die Regierung die seriösen Blätter. Sie waren alle verheiratet, und das auch schon seit einiger Zeit, jedenfalls lange
genug, um ihren Ehemännern einen Erben zu gebären und jetzt ihr Vergnügen andernorts zu suchen. Sie hatten genug Status und Vermögen und regierten mühelos diese Welt aus Intrigen.
Doch trotz ihres Stils und ihrer Selbstsicherheit schienen sie nach etwas zu hungern. Alicia hatte plötzlich die Mädchen vor Augen, die sie einst gewesen waren, Mädchen wie ihre Schwestern und sie selbst, willens ihre Pflicht zu erfüllen, sich der Wirklichkeit arrangierter Ehen bewusst und dennoch auf den flüchtigen Traum einer Liebesheirat hoffend. Hoffend, dass irgendwie zufälligerweise die Männer, die ihnen den Hof machten und den Ehevertrag unterschrieben und die Mitgift und den Einfluss der Familienbeziehungen erwarben – dass diese Männer all das aus Liebe taten.
Und wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass dem so war?
Alicia wurde für einen Moment von Traurigkeit übermannt. Da war sie doch lieber die ungebundene Außenseiterin, als dass sie in dieser glitzernden, ruhelosen Welt der unerfüllten Träume gefangen war.
Im letzten Augenblick schienen die Damen zu einer stillschweigenden Übereinkunft gekommen zu sein und näherten sich Alicia wie ein kleiner Schwarm bunter Vögel.
Alicia machte sich auf alles gefasst. Es versprach, interessant, aber gleichzeitig auch schwierig zu werden.
Die erste Dame, die an der Spitze des Schwarms ging, blieb vor Alicia stehen.
»Ihr seid mit Wyndham zusammen.«
Trotz des gezielten Fehlens von Höflichkeit, denn sie war wie eine Dienstbotin angesprochen worden, sank Alicia in
einen bemüht wenig ehrerbietigen Knicks. »Das bin ich in der Tat, Lady Davenport.«
Die Augen der Frau flackerten vor Verärgerung, denn jetzt musste sie sich nicht mehr mit bedeutungsschwerem Getue vorstellen.
Lady Davenport war die dritte Frau von Lord Henry Davenport, der zwar wohlhabend war, aber nicht über viel Grundbesitz verfügte, der zweite Sohn eines zweiten Sohnes. Lady Davenport hatte ihrem sehr viel älteren Mann den einzigen Erben geschenkt und sich so ihre Position gesichert, ohne dass ihr späteres Verhalten irgendeine Konsequenz für sie zu haben drohte.
Die beiden anderen, Mrs Cassidy und Mrs Abbot, waren in vergleichbarer Situation, auch wenn ihre Männer über keine so hohen Verbindungen verfügten. Lady Davenport
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