Gefährliches Geheimnis
Ich glaube, Kristian hat nur einmal mit mir darüber gesprochen. Ich erzähle Ihnen das, weil es zeigt, was für ein Mann er war und, wie ich glaube, immer sein wird. Es
war dieser starke Kern in ihm, den Elissa sah und liebte.«
»Und Hanna?«, fragte Monk. Er war sich nicht sicher, wie weit er Vater Geissner bedrängen sollte, aber er konnte es nicht auf sich beruhen lassen. Er war sich fast sicher, dass Elissa Hanna verraten hatte, aber fast war nicht genug.
»Hat auch sie ihn deswegen geliebt und ihm vertraut?« Geissner schauderte innerlich. »Sie war nicht mein
Gemeindemitglied, Herr Monk. Solche Dinge vertraute sie
mir nicht an.«
Monk wählte seine Worte sehr vorsichtig. »Vater, wenn jemand Hanna Jakob den Behörden verraten hat, hat er dann erwartet, dass man sie zu Tode foltern und sie schweigen würde? Das scheint mir eine schreckliche Sache zu sein. Gibt es eine andere Möglichkeit als die, dass die Menschen, deren Aufenthalt sie für sich behielt, umgebracht worden wären?«
Geissner schwieg so lange, dass Monk dachte, er würde gar nicht mehr antworten. Schließlich sagte er: »Ich glaube, es ist möglich, dass er Vorkehrungen getroffen hat, damit die betreffenden Leute gewarnt und in Sicherheit waren, so dass Hanna, falls sie sie verriet, um ihre Haut zu retten, niemanden wirklich verraten hätte – was sie natürlich nicht wissen konnte.« Er biss sich auf die Lippen, als ginge ihm die ganze Tragweite dessen, was er sagte, erst jetzt auf, wo es laut ausgesprochen wurde. »Es war eine Zeit heftiger Leidenschaften, Herr Monk. Vielleicht sollten wir die Menschen für das, was sie damals taten, nicht im ruhigeren und helleren Licht von heute verurteilen, wo wir behaglich beieinander sitzen und über Dinge reden, die wir nur zum Teil kennen.«
»Und Sie mir nicht sagen können, ob diese Dinge tatsächlich so passiert sind. Weiß sonst noch jemand davon? Max Niemann, zum Beispiel? Oder Kristian?«
»Nein. Sie können niemanden fragen, weil niemand sonst davon weiß, und ich kann nicht mehr dazu sagen. Es tut mir Leid.« Er hob ein wenig das Kinn. »Aber wenn Sie glauben, es hätte mit Elissas Tod zu tun, irren Sie sich. Ich allein weiß, was passiert ist, und ich habe es niemandem erzählt.« Ein winziges Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. »Außer Ihnen ist noch nie jemand mit solchen Vermutungen zu mir gekommen.«
Monk wartete.
Geissner beugte sich ein wenig vor. »Kristians Schuld- gefühl galt nur sich selbst. Er machte niemand anderen verantwortlich. Er begriff nicht nur, was er getan hatte, als er Hanna losschickte, er begriff auch, warum. Die anderen nicht. Der Unterschied lag im Begreifen, und das erwartete er von Elissa oder Max nicht.« Er sah Monk eindringlich an. »Man muss die Menschen nicht für perfekt halten, um sie zu lieben, Herr Monk. Liebe akzeptiert Fehler, Schwächen und ab und an das Bedürfnis nach Vergebung, wo es keine Reue und kein Verständnis für Schuld gibt. Wir lernen unterschiedlich schnell. Elissa hatte viele Stärken, viele Tugenden, und sie war unerschrocken und mutig. Ich glaube, sie war die mutigste Frau, die ich je kannte. Es tut mir ehrlich Leid, dass sie tot ist, aber ich kann nicht glauben, dass Kristian sie umgebracht hat, außer, er hat sich so sehr verändert, dass ich ihn nicht wiedererkennen würde.«
»Ich glaube, das hat er«, sagte Monk langsam. »Aber in einen Menschen, bei dem es noch unwahrscheinlicher ist, dass er jemanden umbringt … nicht einmal einen Soldaten der habsburgischen Armee.«
»Das überrascht mich nicht.«
»Was ist mit Max Niemann?«
»Max? Er war verliebt in Elissa. Ich erzähle Ihnen damit
nichts Vertrauliches, es war damals wie heute kein Geheimnis. Er hat nie geheiratet. Ich glaube, keine andere Frau konnte ihren Platz einnehmen. Keine andere konnte so tapfer, so schön und in ihren Idealen so leidenschaftlich sein. Sie war so unglaublich lebendig, dass alle anderen neben ihr verblassten.«
»Hatte Hanna Jakob Familie?«
Geissner sah überrascht aus. »Sie glauben, einer von ihnen ist nach all diesen Jahren nach London gereist und hat Rache eingefordert?«
»Ich gehe allen Spuren nach«, räumte Monk ein.
»Ihre Eltern leben noch hier in der Leopoldstadt. Ich glaube, in der Heinestraße. Sie können sie fragen.«
»Vielen Dank.« Monk stand auf. »Vielen Dank für Ihre
Offenheit, Vater Geissner.«
Auch Geissner erhob sich. »Wenn ich etwas tun kann, um Kristian zu helfen, lassen Sie es mich bitte wissen.
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