Gefährliches Geheimnis
wusste es und machte trotzdem weiter.«
»Sie schickten sie trotzdem?«, fragte Monk, dem die Worte fast im Hals stecken blieben. Er hatte erwartet, Geissner würde die Möglichkeit, dass sie verraten worden war, entschlossen und verärgert leugnen, aber das hatte er nicht getan. Das war fast eine Bestätigung. Plötzlich war Monk kalt, er zitterte, und ihm war übel.
»Ja«, fuhr Geissner fort, atmete langsam durch und senkte den Blick. »Es war wichtig, und sie war diejenige, die die Wege durch die Hintergassen am besten kannte, besonders in der Leopold-Stadt, dem alten jüdischen Viertel. Sie glaubte, wenn es ihr gelingen würde, durchzukommen und die anderen zu warnen, würde das ihrer aller Leben retten
… zumindest bis zum nächsten Mal.«
»Sie glaubte?«, griff Monk Geissners Worte auf.
»Stimmte es denn nicht?«
»Sie wurden auch von jemand anderem gewarnt.« Die
Antwort kam so leise, dass Monk sie kaum verstand.
»Dann war ihr Tod sinnlos!« Die Wut drohte, ihn schier zu ersticken, so dass er den Satz kaum verständlich herausbrachte.
Geissner schaute auf, seine Augen baten darum, nicht gefragt und doch verstanden zu werden, so dass Monk die schreckliche Wahrheit erfuhr, ohne dass Geissner jemanden verraten musste, indem er es laut aussprach.
Monk tastete sich mit wachsendem Entsetzen vor. »Sie liebte Kristian?« Er wiederholte, was Magda Beck ihm
gesagt hatte.
»Ja.« Geissner sagte nur das eine Wort.
»Konnte er mehr für sie empfunden haben als nur
Freundschaft und Loyalität?«, fragte Monk ihn.
»Er hat mir gegenüber nichts dergleichen erwähnt«, antwortete Geissner und sah Monk unverwandt an.
War das eine absichtliche Auslassung, die implizierte, dass es so gewesen war? Monk schwieg eine ganze Weile, und Geissner unterbrach das Schweigen nicht. Die Gewissheit lastete schwer wie ein Stein auf Monk.
»Glaubte Elissa, dass dem so war?«, fragte Monk schließlich.
»Herr Monk, Sie stellen Fragen, die ich nicht beantworten kann.«
Warum? Weil er es nicht wusste oder weil das Beichtgeheimnis ihn verpflichtete? Er hatte es sehr sorgfältig unterlassen, zu sagen, er wisse es nicht. Oder war das sein unbeholfener Umgang mit der fremden Sprache? Monk musterte sein Gesicht und sah Schmerz darin, Mitleid und Schweigen. Wie konnte er seine Frage so formulieren, dass Geissner antworten konnte?
»Waren Sie dort?«, fragte er. »Mit ihnen auf den
Barrikaden, und in den Zeiten davor … und danach?« Geissner lächelte, kaum mehr als ein schiefes Zucken
der Lippen. »Ja, Herr Monk, ich war dort. Priester zu sein
hinderte mich nicht daran, an größere Freiheit für mein Volk zu glauben. Ich hatte keine Waffe, aber ich trug Nachrichten, versuchte, zu argumentieren und zu über- zeugen, und ich kümmerte mich um die Ängstlichen und Verwundeten und nahm denen die Beichte ab, die anderen bei der Sache, an die sie glaubten, körperlichen Schaden zugefügt hatten.«
»Und diejenigen, die aus persönlicher Leidenschaft Dinge getan oder unterlassen hatten, die anderen großen Schaden zufügten?«, drängte Monk und sah Geissner dabei direkt in die Augen.
»Ich weiß, was Sie mich fragen wollen, Herr Monk«, sagte Geissner sehr leise. »Und Sie wissen, dass mein Priestereid mich daran hindert, Ihnen zu antworten. Ich würde viel dafür geben, wenn ich Ihnen helfen könnte, herauszufinden, was Elissa von Leibnitz zugestoßen ist. Ich trauere um sie, um die strahlende Flamme, die gelöscht wurde. Ich trauere noch mehr um Kristian. Wie ich ihn kannte, war er ein Mann von bemerkenswertem inneren Mut und der Rechtschaffenheit, sich selbst zu betrachten und seine Schwächen gegen seine Träume abzuwägen. Er lief nicht vor der Wahrheit davon, selbst als diese ihn zutiefst verletzte.«
»Sie sprechen von Hannas Tod?«, sagte Monk schnell. Geissner blinzelte und atmete langsam ein. »Missver-
stehen Sie mich nicht, ich spreche von dem Bedauern, das
er hinterher empfand, den Selbstzweifeln, unter denen er litt, weil sie Hanna für den Botengang ausgewählt hatten. Er glaubte sogar, sie hätten es getan, weil sie Jüdin war und daher, unbewusst, nicht ganz eine von ihnen. Ich weiß nicht, ob das stimmte, aber er befürchtete es, und er war entsetzt über sich.«
»Und die anderen? Elissa? Max?«
Geissner schüttelte den Kopf. Kaum merklich. »Nein. Das war der Anfang sehr feiner Differenzen zwischen ihnen, ab da liefen innere Pfade auseinander. Kristian heiratete Elissa. Max Niemann blieb sein Freund.
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