Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Loyalitäten sind sehr zählebig, was in vielerlei Hinsicht bewundernswert ist.«
    Der Richter sah Pendreigh fragend an.
    »Mr. Niemann verbindet eine lange Freundschaft mit dem Angeklagten und der Verstorbenen, Euer Ehren«, erklärte Pendreigh. »Er kann uns viel über ihre Gefühle füreinander erzählen. Zudem war er zur Zeit des Mordes in London und hielt sich unmittelbar vor dem Ereignis in der Swinton Street auf …« Er wurde durch verblüfftes Stimmengewirr aus der Zuschauermenge und das Rascheln und Füßescharren von zweihundert Menschen unterbrochen, die sich aufrichteten und die Hälse reckten.
    »Tatsächlich?«, sagte der Richter sichtlich überrascht.
    »Dann fahren Sie fort. Aber ziehen Sie es nicht mit
    Belanglosigkeiten in die Länge, Mr. Pendreigh. Ich habe Ihnen in dieser Hinsicht schon einigen Spielraum gewährt.«
    »Vielen Dank, Euer Ehren.« Pendreigh verbeugte sich leicht und wandte sich wieder Niemann zu. »Können Sie uns so kurz wie möglich, jedoch ohne die Wahrheit zu opfern, erzählen, welche Rolle die beiden bei dem Aufstand gespielt haben und welche Beziehung sie zueinander hatten?«
    »Ich will es versuchen«, sagte Niemann nachdenklich.
    »Damals waren sie natürlich noch nicht verheiratet. Elissa war Witwe. Sie war Engländerin, aber sie kämpfte mit einer Leidenschaft für die Sache der Österreicher, die meiner Ansicht nach größer war als die von vielen von uns, die wir Österreicher waren.« Seine Stimme war weich, und sowohl seine Zärtlichkeit als auch seine Bewunderung waren offensichtlich. »Sie war unermüdlich, machte anderen Mut, versuchte, neue Wege zu erkunden, um den Behörden gegenüberzutreten und die Sympathie von noch mehr Menschen zu gewinnen, damit sie die Gerechtigkeit unserer Sache begriffen und daran glaubten, dass wir gewinnen konnten. Es war, als glühte in ihr ein Licht, eine Flamme, von der sie einen Funken in die Seelen halbherziger Menschen überspringen ließ.«
    Einen Augenblick schwieg er, als müsste er seine Selbst- kontrolle wiedergewinnen, um diesen ruhigen Engländern in ihren maßgeschneiderten Anzügen zu zeigen, wie viel Leidenschaft und wie viel Mut in den Straßen Wiens geherrscht hatten, als man einem überwältigenden Feind gegenüberstand.
    Alle beobachteten ihn. Hester rutschte auf ihrer Bank hin und her und fragte sich, was Callandra wohl dachte, ob diese Erinnerung an Heldentum und Einigkeit sie verletzte, oder ob alles, an was sie im Moment denken
    konnte, die Frage war, wie Kristians Unschuld bewiesen oder zumindest sein Leben gerettet werden konnte. Hester warf ihr von der Seite einen Blick zu und wünschte, sie hätte es nicht getan. Es war aufdringlich, eine Nacktheit anzuschauen, deren Zeuge niemand hätte werden sollen.
    Dann erblickte sie plötzlich zu ihrer großen Überraschung auf der anderen Seite des Mittelgangs Charles und neben ihm Imogen. Sie hatte sich doch geweigert, auszusagen, hatte behauptet, sie hätte Niemann nicht gesehen. Was machten sie dann hier? War sie hier, weil sie sehen wollte, wie die Angelegenheit lief? Aus Loyalität Hester gegenüber, obwohl die beiden nicht mit ihr gesprochen hatten? Oder hatten sie einen anderen Grund?
    Imogen sah abgehärmt aus, die Augen waren weit aufgerissen. Wusste sie womöglich doch etwas und würde, wenn das größte Unglück eintrat, sprechen?
    »Sie war der tapferste Mensch, den ich je kennen gelernt habe.«
    Niemanns Stimme erfüllte wieder den Saal. Er war ruhig, als würde er mit sich selbst sprechen, und doch trug die absolute Stille seine Worte in jedes Ohr.
    Hester sah wieder nach vorne.
    »Sie war nicht dumm, und wir verloren, Gott weiß, so viele von uns, dass sie dem Tod unmittelbar begegnete.« Niemann presste die Lippen aufeinander, und als er weitersprach, zuckten sie vor Schmerz. Er senkte ein wenig die Stimme. Niemand im Saal wollte eines seiner Worte verpassen. »Sie kannte die Risiken, aber sie überwand ihre Angst so vollkommen, dass ich niemals sah, dass sie sie zeigte. Sie war eine wahrlich bemerkenswerte Frau.«
    »Und Kristian Beck?«, drängte Pendreigh.
    Niemann hob den Kopf. »Auch er war bemerkenswert, aber auf andere Art und Weise.« Seine Stimme gewann
    ihre Lautstärke zurück. Jetzt sprach er über einen Mann, der sein Freund war, der noch lebte, und nicht über eine Frau, die er ganz offensichtlich geliebt hatte. »Er war der Anführer unserer Gruppe.«
    Pendreigh hob die Hand. »Warum war er der Anführer, Mr. Niemann? Warum er, und nicht

Weitere Kostenlose Bücher