Gefährliches Geheimnis
Menschen sind so«, antwortete Runcorn mit Verwirrung in der Stimme. Er erwartete nicht einmal, es zu verstehen.
»Als wären sie darauf aus … ich weiß nicht … von etwas überfahren zu werden, was größer ist als sie. Hab solche
Kinder gesehen, spotten so lange, bis sie verprügelt werden, manchmal grün und blau. Art von Aufmerksamkeit. Bei Erwachsenen kenne ich mich nicht aus.« Er gab noch etwas Zucker in seinen Tee und rührte ihn um. »Manche Menschen tun alles, um zu überleben. Andere scheinen sich selbst zerstören zu wollen. Wenn man sie aus dem Schlamassel holt, tappen sie mitten in den nächsten hinein, fast so, als fühlten sie sich nicht lebendig und spürten keine Angst. Versuchen ständig, etwas zu beweisen.«
Monk griff nach seiner Tasse. Der Tee war nicht mehr besonders heiß, aber er konnte sich nicht aufraffen, den Kessel zu holen und heißes Wasser nachzugießen. »Es ist ein wenig spät jetzt. Pendreigh werde ich morgen früh aufsuchen.«
Runcorn nickte.
Keiner von beiden verlor ein Wort darüber, wie Callandra oder Hester sich fühlen würden, kein Wort über Loyalität, Schmerz oder Kompromisse, aber als Monk zur Tür ging, waren bereits die Träume in seinem Innern zerrissen, und er konnte sich nicht vorstellen, welcher Schmerz noch vor ihm lag.
An der Haustür sahen sie sich einen Moment an, und dann trat Monk hinaus in den Regen.
Der Richter erlaubte einen kurzen Aufschub, damit Pendreigh sich allein mit Max Niemann unterhalten konnte. Pendreigh hatte ihm vorab bereits Mitteilung gemacht, dass er Niemann als Zeugen vorladen würde, in der Hoffnung, es würde Monk gelingen, ihn aus Wien mitzubringen. Dennoch brauchte er eine deutlichere Vorstellung davon, was dieser zur Verteidigung beitragen konnte.
Es war fast halb elf, als Max Niemann durch den stillen, überfüllten Gerichtssaal schritt und die steilen Stufen zum Zeugenstand hinaufstieg, wo er vereidigt wurde, sagte, wie
er hieß, und bestätigte, dass er in Wien lebte.
Pendreigh stand unter ihm, wo er plötzlich von einem Sonnenstrahl, der durch das hohe Fenster oberhalb der Geschworenenbank fiel, wie von einem Scheinwerfer beleuchtet wurde. Alle Augen im Saal ruhten auf den beiden Männern.
»Mr. Niemann«, fing Pendreigh an, »lassen Sie uns erst unseren Dank aussprechen, dass Sie den weiten Weg nach London auf sich genommen haben, um vor diesem Gericht Zeugnis abzulegen. Wir wissen das sehr zu schätzen.« Er wartete Niemanns Nicken ab und fuhr fort. »Wie lange kennen Sie den Angeklagten Dr. Kristian Beck?«
»Etwa zwanzig Jahre«, antwortete Niemann. »Wir lernten uns als Studenten kennen.«
»Und Sie waren Freunde?«
»Ja. Verbündete während der Aufstände 1848.«
»Sie sprechen von der Revolution, die Europa in diesem
Jahr überrollte?«
»Ja.« Niemann sah plötzlich aus, als brächte die Erwähnung der Zeit alle möglichen Erinnerungen zurück, bittere wie schöne. Hester fragte sich, ob die Geschworenen dies ebenso deutlich sahen wie sie. Monk war nicht im Saal zugelassen, weil Pendreigh sich das Recht vorbehalten hatte, ihn als Zeugen aufzurufen.
»Sie haben Seite an Seite gekämpft?«, fuhr Pendreigh fort.
»Ja, bildlich gesprochen, nicht immer wörtlich«, antwortete Niemann.
»Die meisten hier im Saal« – Pendreigh wies auf die Zuschauer – »aber vor allem die Geschworenen haben so etwas nie erlebt. Wir haben unsere Regierung nicht tyrannisch genug gefunden, um uns gegen sie zu erheben.
Wir haben weder Barrikaden in den Straßen gesehen, noch haben sich unsere eigenen Armeen gegen uns gewandt.« Seine Stimme war äußerlich ziemlich ruhig, aber darunter lag Leidenschaft, nicht im Tonfall, sondern in der Klangfarbe.
»Würden Sie uns erzählen, wie das war?«
Mills erhob sich, das Gesicht vor vorgetäuschter Verwirrung in Falten gelegt. »Euer Ehren, während wir dem Wunsch des österreichischen Volkes nach größerer Freiheit durchaus wohlwollend gegenüberstehen und bedauern, dass es sein Ziel nicht erreichte, sehe ich nicht, welche Bedeutung Mr. Niemanns Erinnerungen für den Mord an Mrs. Beck in London in diesem Jahr haben soll. Wir räumen ein, dass der Angeklagte in die Sache verwickelt war und dass er tapfer kämpfte. Wir bezweifeln auch nicht, dass Mr. Niemann sein Freund war und immer noch ist und dass er bereit ist, beträchtliche Mühe und Kosten auf sich zu nehmen, um den Versuch zu unternehmen, den Angeklagten aus seiner gegenwärtigen misslichen Lage zu retten. Alte
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