Gefährliches Geheimnis
tat überrascht. »Was hat er dort gemacht?«
»Er schritt mit Malutensilien unter dem Arm den Bürger- steig entlang. Er sah sehr wütend aus. Die Frau folgte ihm und redete auf ihn ein, während ich in der Nähe war.«
»Vielen Dank. Ihr Zeuge, Mr. Mills.«
Mills beugte sich vor und stand auf. Er fragte Niemann nicht weiter aus, entlockte ihm aber mit ein paar geschickten Fragen ein Bild von Kristian während des Aufstands, das ihn noch kontrollierter zeigte als zuvor, als einen Mann, der zu Gunsten der guten Sache nie das Ziel aus den Augen verlor und alle möglichen Opfer bringen konnte, sogar Menschen.
Hester zuckte bei jeder neuen Aussage zusammen und spürte, dass Callandra neben ihr ganz starr wurde. Sie konnte nur ahnen, was diese empfand.
»Und Sie waren in London und trafen sich mehrmals mit
Elissa Beck, ist das richtig?«, fragte Mills.
»Ja.« War das Trotz oder Verlegenheit in Niemanns
Miene?
Mills lächelte. »In der Tat«, bemerkte er. »Und immer woanders, also nicht zu Hause? War Dr. Beck jemals dabei, Mr. Niemann?«
Es war offensichtlich, was er damit andeuten wollte. Niemann wurde rot. »Ich war hier, weil Elissa in finanziellen Schwierigkeiten steckte!«, antwortete er mit belegter Stimme. »Ich war in der Lage, ihr zu helfen. Kristian nicht. Aus Rücksicht auf seine Gefühle wollte ich nicht, dass er wusste, was ich tat!«
Mills lächelte. »Verstehe«, sagte er mit einem leicht ungläubigen Unterton. »Vielen Dank, Mr. Niemann. Ich habe keine weiteren Fragen an Sie. Ich lobe Ihre Loyalität zu einem alten Verbündeten und zu einer Frau, die Sie geliebt haben. Ich fürchte, Sie können nichts tun, um einem von beiden zu helfen.« Mills dankte Niemann und zog sich zurück. Er hatte Schaden angerichtet, und das reichte.
Die Mittagspause war kurz. Hester sah Charles und Imogen, als sie durch die äußere Tür verschwanden. Sie, Monk und Callandra aßen in einer lauten Schänke, wo sie Zuflucht im Lärm nahmen, um nicht über den Prozess sprechen zu müssen.
Auf dem Rückweg stieß, als sie eben die Treppe zum Gericht hochgingen, Runcorn zu ihnen, mit fliegenden Mantelschößen und vom Nebel feuchtem Haar.
»Was ist los?«, fragte Monk und wandte sich ihm zu. Runcorn sah ihn an, dann Hester. Callandra war weiter-
gegangen, und aus der Entfernung erkannte er sie nicht.
»Es tut mir Leid«, sagte er, und das Gewicht dessen, was er zu sagen hatte, war seiner Stimme anzuhören. »Wir haben den Kutscher gefunden, der Allardyce vor der Spielhalle aufgelesen hat. Er erinnert sich sehr deutlich daran. Es gab eine eklige Szene – eine Frau wand ihm
einige Zeichnungen aus den Händen und riss sie dort mitten auf dem Gehweg in Stücke. Er sagt, Allardyce sei froh gewesen, von dort wegzukommen, bevor sie die Aufmerksamkeit aller auf die Tatsache lenkte, dass er Menschen gezeichnet hatte, ohne dass diese das wussten. Er saß in der Kutsche wie ein Flüchtiger, meint der Mann, der ihn nach Canning Town fuhr.« Er atmete tief ein und stieß einen Seufzer aus. »Unmöglich, dass er zu seinem Atelier ging und diese Frauen umbrachte. Es tut mir Leid.« Er entschuldigte sich, als trüge er die Schuld daran, dass er ihnen nicht die Nachricht bringen konnte, auf die sie alle hofften.
Monk legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vielen Dank«, sagte er mit belegter Stimme. »Besser, wir erfahren es jetzt als später.«
Zu niedergeschlagen, um mehr zu sagen, legte er den Arm um Hester und ging mit ihr die Treppe hoch ins Gerichtsgebäude.
Pendreigh rief Monk nicht auf. Es war ihm klar, dass er ihn nichts Nützliches fragen konnte, aber zu seiner Verwunderung rief Mills ihn in den Zeugenstand, um Niemanns Aussage zu bestätigen oder zu verwerfen. Die Bitte schien vernünftig zu sein, womöglich sogar hilfreich für die Verteidigung. Pendreigh hatte keinen Grund, Einwände zu erheben. Wenn er versucht hätte, es zu verhindern, hätte er gegen sich selbst gearbeitet. Monk stand in seinen Diensten! Pendreigh hatte keine andere Wahl, als nachzugeben, was er freundlich und scheinbar entspannt tat. Schließlich würde Monk bestätigen, was Niemann gesagt hatte.
Monk stieg die enge, gewundene Treppe zum Zeugen- stand hinauf und stand Mills gegenüber, einer ordentlichen, kleinen, nicht bedrohlichen Gestalt. Er wurde vereidigt, nannte seinen Namen, Wohnort, Beschäftigung und warum
er auf Pendreighs Bitte hin nach Wien gefahren war. Er wies Mills nicht darauf hin, dass er es eigentlich auf Callandras Wunsch
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