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Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wobei die letzte Eigenschaft der Rahmen für alle anderen abgab. Er war zu lange von der Straße weg und kannte die Realität des Lebens der meisten Frauen nicht und fürchtete sich womöglich zu sehr vor seiner eigenen Schwäche, um die
    anderer Menschen zu betrachten.
    Runcorn warf ihm einen wütenden Blick zu. »Und was haben Sie rausgefunden?«, wollte er wissen.
    Monk setzte ihn über Sarahs Herkunft und Laufbahn in Kenntnis, bis zu dem Punkt, an dem Allardyce sie entdeckt und kurz darauf exklusiv als Modell verpflichtet hatte. Er nannte ihm auch den Namen ihres ehemaligen Liebhabers, Arthur Cutter.
    Runcorn hörte ihm schweigend zu, in seinem ernsten
    Gesicht spiegelten sich einander widerstreitende Gefühle.
    »Sollte ihn wohl aufsuchen, nehme ich an«, sagte er am Ende. »Könnte es gewesen sein, wenn er dachte, sie würde ihn betrügen, klingt aber nicht wahrscheinlich. Solche Frauen gehen von einem Mann zum anderen, und niemand schert sich viel darum. Zweifellos hat er damit gerechnet und selbst seither ein halbes Dutzend andere Frauen gehabt.«
    »Irgendjemand hat sich so sehr darum geschert, dass er sie umgebracht hat!«, erwiderte Monk wütend. Was Runcorn gesagt hatte, stimmte womöglich; es war nicht die Tatsache an sich, die Monk kränkte, sondern die Verachtung, die in seinen Worten lag, vielleicht sogar die Tatsache, dass er es überhaupt gesagt hatte. Es gab einige Wahrheiten, die von Mitleid überdeckt wurden, wie etwa das Gesicht eines Toten zuzudecken – eine kleine Schick- lichkeit, wenn mehr nicht möglich war. Er sah Runcorn von starkem Widerwillen erfüllt an. Die alten Erinnerungen kamen in ihrer ganzen Hässlichkeit wieder hoch: die Eng- stirnigkeit, das Aburteilen, die Bereitschaft zu verletzen.
    »Sie ist genauso tot wie Elissa Beck!«, fügte er hinzu. Runcorn erhob sich. »Besuchen Sie Bella Holden«,
    befahl er Monk. »Sie finden Sie wahrscheinlich in ihrer
    Wohnung in der Pentonville Road Nummer dreiund-
    zwanzig. Sie arbeitet auch als Modell für Künstler, und ich glaube, es ist ein Bordell. Außer, Sie wollen aufgeben? Aber es sieht so aus, als wären Sie genauso scharf darauf, den Mörder von Sarah Mackeson zu finden wie den Mörder von Becks Frau.« Er ging zwischen den anderen Gästen hindurch, ohne zurückzublicken oder Monk zu sagen, wo sie sich wieder treffen würden. Monk sah, wie sich Runcorns starre Schultern durch die Menge schoben. Kurz vor der Tür verlor er ihn aus den Augen.
    Pentonville Road Nummer dreiundzwanzig war tatsächlich eine Art Bordell, und Monk fand Bella Holden erst nach beträchtlichen Einwänden und nachdem er zwei Schilling und sechs Pence bezahlt hatte, was er sich eigentlich nicht leisten konnte. Callandra hätte ihm die Auslagen bereitwillig ersetzt, aber sowohl Stolz als auch das Wissen um ihre Verletzlichkeit würden ihn davon abhalten, sie darum zu bitten. Hier ging es um Freundschaft, nicht ums Geschäft.
    Bella Holden war hübsch, hatte eine Wolke dunklen Haars und bemerkenswert blassblaue Augen. Sie musste Anfang dreißig sein, und unter dem langen Nachthemd, das sie trug, konnte er erkennen, dass ihr Körper seine Festigkeit und die Form, die ein Künstler bewundern würde, verlor. Sie war zu üppig, zu fraulich. Es würde nicht mehr lange dauern, bis dieses Haus – und ähnliche – ihre Haupteinnahmequelle sein würde. Niemand würde sie als Dienstbotin beschäftigen, selbst wenn sie die notwendigen Fertigkeiten besaß. Ohne »Leumund« würde man sie nicht über die Schwelle lassen, geschweige denn ins Haus.
    Als er sie jetzt anschaute, wie sie ihn, das Geld noch in der Hand, anstarrte, sah er in ihrem Gesicht Wut und das Bedürfnis zu gefallen miteinander ringen, und eine gewisse Schwere um die Lider, eine Lethargie, als hätte er sie aus einem Traum geweckt, der sehr viel erfreulicher
    war als jede Wirklichkeit. Es war drei Uhr. Er war wohl ihr erster Kunde. Die Gleichgültigkeit in ihrem Gesicht sprach von einer lebenslangen Tragödie.
    Er dachte an Hester, wie sehr würde sie die Hände eines Fremden an ihren Kleidern, geschweige denn auf ihrer nackten Haut verabscheuen. Diese Frau musste Intimität ertragen, egal, wer durch die Tür kam und bereit war, zwei Schilling und sechs Pence auszugeben. Woher kamen die Ignoranz und die Verzweiflung, dass sie lieber dies tat statt normal zu arbeiten?
    Die Antwort war da, bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte. Normale Arbeit verlangte die Fähigkeit zu nähen, die sie vielleicht nicht

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