Gefährliches Geheimnis
Kristian durch eine schöne Frau in die Enge getrieben worden war, an deren strahlenden Mut und Leidenschaft er sich erinnerte, die ihn jetzt aber an den Rand des Ruins getrieben und ihm alles geraubt hatte, was er nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Sache der Heilkunst aufgebaut hatte. Und weil er sich lebhaft vorstellen konnte, dass es Callandra sehr verletzen würde, die ihm am Herzen lag und bei der er so tief in der Schuld stand, dass er es niemals zurückzahlen konnte, weil er nichts hatte, was sie begehrte – außer seiner Macht, Kristian Beck zu helfen.
Und es würde Hester wehtun. Um was würde sie ihn bitten? Was glaubte sie, was er tun würde, als sie ihm von
dem leeren Haus erzählt hatte?
Die bittere, unverzeihliche Sache war der Mord an Sarah Mackeson. Kein Verständnis konnte diese Tat rechtfertigen.
Und was war mit Charles und Imogen? Was wussten sie, und was konnten sie gesehen haben?
Würde Runcorn herausfinden, dass Imogen etwas mit der Swinton Street zu tun hatte? Möglich oder auch nicht. Hester war nicht verpflichtet, ihm etwas über ihre Familie zu erzählen, selbst wenn sie von dem Spielen wusste. Kristian würde nicht über den Ort sprechen, selbst wenn er ihn kannte. Bisher hatte Runcorn keinen Grund, in die Spielhalle in der Swinton Street zu gehen.
All das war belanglos. Die Frage war, ob Monk die Wahrheit sagte oder ob er log. Um was zu erreichen? Die Tatsache verheimlichen, dass Kristian die beiden Frauen umgebracht hatte? Und wenn er verheimlichte, was er wusste, was dann?
Blieben die Morde dann unaufgeklärt? Wurde jemand anders beschuldigt, vielleicht der Österreicher, Max Niemann, der sich heimlich mit Elissa getroffen hatte? Oder irgendein Schuldeneintreiber?
Er hatte das Polizeirevier fast erreicht. Er zögerte, dann ging er weiter, und zwar noch einmal um den Block. Schließlich fasste er einen Entschluss. Wenn er jetzt log, selbst durch Unterlassung, musste er den Rest seines Lebens Umwege machen, um die Wahrheit zu umgehen. Es entsprach nicht seiner Natur und den wenigen zuver- lässigen Regeln, die er ungebrochen einhielt. Er war kein Feigling, egal, was ihm begegnete. Lügen zogen weitere Lügen nach sich. Er würde kämpfen, um Kristian zu retten, oder den Mut finden, zuzusehen, wie dieser sich vor Gericht verantwortete und womöglich für schuldig
befunden wurde. Er würde nicht darüber befinden, wer schuldig oder unschuldig war, bevor er nicht alle Fakten kannte. Er würde die Beweise finden, und zwar alle, was auch immer sie aussagen würden, und dann mit den Erge- bnissen leben, egal, was es einen von ihnen kosten würde.
Er ging die Treppe zum Polizeirevier hinauf und trat ein.
»Ist Mr. Runcorn da?«, fragte er.
»Ja, Mr. Monk. Die Treppe hoch, Sir.«
Verdammt! Ein Jammer, dass er nicht unterwegs war, nur dieses eine Mal. Er knirschte mit den Zähnen, dankte dem Sergeant und ging hinauf. Er klopfte an die Tür, und trat ein, sobald er eine Antwort hörte.
Runcorn saß hinter seinem ordentlichen Schreibtisch. Er sah fast erfreut aus, Monk zu sehen. »Wo waren Sie den ganzen Tag?«, wollte er wissen. »Ich dachte, Sie wären erpicht darauf, den Fall zu lösen?« Er machte keine Andeutung, dass er ihn auf der Beerdigung von Sarah Mackeson getroffen hatte. Er wollte abwarten, ob Monk es erwähnen würde, und tat so, als hätten sie einander nicht gesehen, obwohl ihre Blicke sich begegnet waren. Monk erkannte mit einem scharfen Beigeschmack von Befrie- digung, dass es Runcorn peinlich war, bei etwas erwischt worden zu sein, das ein für ihn uncharakteristisches Mitleid bezeugte. Schließlich war Sarah Mackeson ein unmora- lisches Frauenzimmer von der Art, die er verachtete. Er konnte kaum behaupten, er sei dort gewesen, um zu sehen, wer noch dort war, und erwarten, dass Monk ihm das abkaufte, denn er war sehr viel länger geblieben, als notwendig gewesen wäre. Er war ein Trauernder gewesen.
Monk wollte darüber sprechen, Runcorn zwingen, zu sei- nem Gesinnungswandel zu stehen. Aber die Augen seines Gegenübers verrieten ihm, dass er dies nicht tun würde.
Es war der perfekte Zeitpunkt, die Wahrheit zu sagen.
Monk hasste es, als würde er einen Zahn gezogen bekommen. Die lange Geschichte gegenseitiger Ressenti- ments und Missverständnisse stand zwischen ihnen wie eine Wand. Monk wusste, dass seine Miene Wut widerspiegelte. Runcorn starrte ihn an und zog schon die Schultern hoch, als machte er sich bereit, einen Schlag abzuwehren. Er biss
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