Gefährliches Geheimnis
einen lieben – zu zerstören.«
»Ich dachte, du wolltest sagen ›und die, die man liebt‹«, bemerkte er.
»Das wollte ich auch«, erwiderte sie. »Und dann fand ich, eigentlich ist es doch andersrum. Ich glaube, Kristian hat sie mehr geliebt als sie ihn. Es sieht aus, als hätte sie diese Fähigkeit verloren. Wenn sie ihn genug geliebt hätte, hätte sie niemals weitergemacht, bis sie ihm fast alles geraubt hatte.«
»Es ist ein Zwang«, versuchte er zu erklären. Sie hatte die Gesichter der Spieler nicht gesehen, die gierigen Augen, in denen das Verlangen funkelte, die starren Körper, die geballten Fäuste und wie sie den Atem anhielten, wenn sie darauf warteten, dass die Karte oder der Würfel fiel. Es war eine unkontrollierbare Gier. »Sie können nicht anders«, fügte er laut hinzu. Er dachte an Imogen und versuchte, Hesters Verständnis zu wecken. Sie musste sich der Tatsache stellen, dass es auch in ihrer eigenen Familie vorkam.
»Vielleicht nicht.« Sie stritt nicht, wie er erwartet hatte.
»Aber die Liebe tötet es trotzdem.«
»Hester, Liebe ist …« Er wusste nicht, wie er den Satz beenden sollte.
»Was?«
»Etwas anderes.« Er suchte immer noch nach einer Erklärung. »Für jeden Menschen etwas anderes. Sie ist nicht immer einleuchtend, man kann lieben und …«
»Wenn man liebt, stellt man seine eigenen Bedürfnisse nicht über die des anderen«, sagte sie einfach. »Man kann dies aus moralischen Verpflichtungen heraus tun, aber nicht auf Grund von Neigungen. Vielleicht können sie nicht anders. Ich weiß es nicht. Aber wenn das Spiel einem die Fähigkeit raubt, die eigenen Bedürfnisse jemand anderem zu opfern, dann hat es einen seiner Ehre und seiner Liebe beraubt. Denn das sind nicht nur angenehme Gefühle, sie bedeuten auch die Bereitschaft, das Wohlergehen des anderen über das eigene zu stellen.«
Er antwortete nicht. Er war überrascht über ihre Worte, zudem hatte er nichts dagegen einzuwenden. Er sah immer noch Imogens blasses Gesicht, ihre strahlenden Augen und ihre fieberhafte Aufregung vor sich.
»Ich behaupte nicht, dass sie etwas dagegen hätte tun können«, fuhr Hester fort. »Ich weiß nicht, ob das möglich gewesen wäre. Ich denke, nach Wien hat sie sich verändert. Der Grund dafür ändert nichts an dem, was sie Kristian angetan hat.«
»Was?«, fragte er, als hätte er sie nicht gehört.
»Hörst du deinen eigenen Worten nicht zu?« Ihre Stimme wurde schärfer. »William! Was ist es noch?«
Er sagte es ihr nur ungern, aber er konnte nicht mehr ausweichen. »Ich habe noch jemanden gesehen, den ich kenne.«
»Beim Spielen?« In ihrer Stimme lag Angst, während sie ihn anschaute. Sie wusste, dass es das war, was er so lange hinausgezögert hatte. »Wen? Kristian?«
»Nein …« Er sah, dass ihre Anspannung nachließ, und verabscheute, was er jetzt tun würde. Für einen kurzen
Augenblick erwog er sogar, es ihr doch nicht zu sagen, aber das war nur seine eigene Feigheit. »Imogen.«
»Imogen?«, wiederholte sie sehr leise. »Imogen spielt?«
»Ja. Es tut mir Leid.«
Sie wirkte nicht verblüfft oder so, als glaubte sie ihm nicht. Er hatte erwartet, sie würde die Möglichkeit weit von sich weisen, und er müsste sie überzeugen, argumentieren und sich womöglich ihrer Wut stellen. Aber sie stand ganz ruhig da und nahm die Information in sich auf, ohne dagegen anzukämpfen. Sicher war sie nicht böse auf ihn.
»Hester?«
Sie hörte ihn nicht, weil sie über seine Worte nachdachte, versuchte, sie zu verarbeiten und herauszufinden, was sie bedeuteten.
»Hester?« Er berührte sie zärtlich. Sie leistete keinen Widerstand und kämpfte auch nicht, wie er erwartet hatte. Sie wandte ihm das Gesicht zu und sah ihn an. Da wurde ihm plötzlich klar, dass sie es gewusst hatte! Es lag keine Verwunderung in ihren Augen, sondern vielmehr Er- leichterung! Er hatte sich die Entscheidung unnötig schwer gemacht. Sie hatte es gewusst und ihm nichts davon gesagt.
»Wie lange geht das schon?«, fragte er barsch und zog die Hand weg.
»Ich weiß es nicht.« Sie sah nicht ihn an, sondern blickte in die Ferne, an einen Ort in sich selbst. »Erst ein paar Wochen …«
»Wochen? Und nach all dem, was du über Elissa Beck herausgefunden hast, bist du nicht auf die Idee gekommen, mir von Imogen zu erzählen? Warum nicht? Ist deine Familienloyalität so stark, dass du mir nicht vertrauen konntest?« Während er dies sagte, wurde ihm bewusst, wie sehr es ihn kränkte, ausgeschlossen
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