Gefährliches Geheimnis
und wurde nass bis auf die Haut, bevor er schließlich für die letzte Wegstrecke einen Hansom fand. Vor Kälte zitternd kam er zu Hause an und wünschte sich, es gäbe einen Weg, das, was er nun tun
musste, zu umgehen.
Im Haus zog er den nassen Mantel und die Stiefel aus, um auf dem Teppich keine Spuren zu hinterlassen. Er hörte Hester aus der Küche kommen und erwartete halb, sie wüsste bereits alles. Sie spürte und verstand Dinge immer sehr schnell, und er stellte sich vor, sie wäre sich seines Versagens bereits bewusst und wäre darauf vorbereitet.
Er schaute auf, sah die Erleichterung in ihrem Gesicht, als sei eine Last von ihr genommen worden, und erkannte, wie sehr er sich geirrt hatte.
»William …« Sie hielt inne. »Was ist los?« Ihre
Gesichts- und Halsmuskeln spannten sich an.
Er richtete sich auf, ohne die nassen Stiefel wegzustellen.
»Kristian war nicht da, wo er behauptet hat. Gott weiß, dass er Grund genug hatte, sie umzubringen. Sie hat ihn bis aufs letzte Hemd geschröpft und hätte weitergemacht, bis er im Gefängnis gelandet wäre. Queens, wenn er Glück gehabt hätte! Andernfalls Coldbath!«
»Um Himmels willen«, platzte sie heraus. »Irgendein Spieler hat sie umgebracht! Jemand, dem sie Geld schuldete …«
Er packte sie bei den Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. »Nein, dem war nicht so. Glaubst du, wir hätten das nicht bis ins Letzte überprüft? Niemand will, dass es Kristian war.«
»Runcorn …«, setzte sie an.
»Nein«, unterbrach er sie schroff. »Er ist halsstarrig und voller Vorurteile, grundlos beleidigt, dickfellig und ohne Phantasie … zuweilen. Aber ihm wäre jeder andere Täter lieber gewesen als Kristian.«
»Dem war nicht so!«, widersprach sie ihm mit leuchtenden Augen. »Du hast gesagt, ›dem war nicht so‹!«
»Dem war nicht so«, wiederholte er. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. »Wir konnten nichts tun, um es zu verhindern. Die Beweise waren erdrückend.«
»Welche Beweise?«, wollte sie wissen. »Es gibt nichts außer einem Motiv. Du kannst niemanden überführen, nur weil er einen guten Grund hatte. Alles, was du weißt, ist, dass er nicht beweisen kann, dass er woanders war!«
»Und dass er gelogen hat, ob mit Absicht oder nicht«, antwortete er leise. »Niemand sonst hatte einen Grund dazu, Hester. Allardyce war im Bull and Half Moon auf der anderen Seite des Flusses. Die anderen Spieler hatten keinen Grund, sie umzubringen. Abgesehen davon waren ihre Schulden alle bezahlt.«
»Dann galt der Anschlag der anderen armen Frau«, sagte sie augenblicklich. »Ich verstehe nicht, warum du über- haupt davon ausgehst, dass Elissa Beck zuerst umgebracht wurde und nicht Sarah Mackeson! Vielleicht hatte sie eine Affäre, und sie stritten sich? Ist das nicht sehr viel wahrscheinlicher, als dass Kristian seiner Frau zum Atelier eines Künstlers folgt und sie dort umbringt? Um Himmels willen, William! Er ist Arzt … wenn er sie hätte umbringen wollen, gäbe es ein Dutzend bessere und sicherere Methoden!«
Er stritt sich nicht mit ihr über Leidenschaft und
Vernunft. Es stimmte, war in diesem Fall aber belanglos.
»Sarah wurde nicht zuerst umgebracht«, sagte er, während er sie immer noch festhielt. Sie wollte sich von ihm freimachen, ihre Muskeln waren angespannt.
»Es war Elissa.«
»Das weißt du nicht! Kein Arzt kann dir sagen, wer von den beiden zuerst starb, wenn es innerhalb weniger Minuten geschah«, widersprach sie ihm.
»Wir haben Elissas Ohrring gefunden, der ihr im Kampf
vom Ohr gerissen wurde und durch ein Astloch in den Dielen gefallen war, und zwar genau an der Stelle, an der Sarah lag.«
Sie atmete tief ein und stieß einen Seufzer aus. »Oh«, sagte sie kaum hörbar. Ihr Zorn verflüchtigte sich und hinterließ nur Schmerz, und er zog sie, ohne dass sie Widerstand leistete, an sich, hielt sie in den Armen und spürte, dass sie zitterte und sich dagegen wehrte, in Tränen auszubrechen.
Mehrere Minuten ließ sie sich so halten, bevor sie schließlich zurücktrat. »Dann müssen wir kämpfen«, sagte sie keuchend. »Du … du meinst, Runcorn wird ihn verhaften, nicht wahr?«
»Das hat er bereits. Ich habe Kristian seine Kleider und sein Rasiermesser gebracht.«
»Er ist im … Gefängnis?« Sie machte große Augen.
»Ja, Hester.«
»Was?« Sie schauderte. »Wage nicht, mir zu erzählen, du meinst, er könnte es getan haben!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Wage es nicht!«
»Warum sollte ich?«, fragte er.
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