Gefährliches Geheimnis
ungern tat. Auch Runcorn bewun- derte Kristian, ob er wollte oder nicht, und hätte viel darum gegeben, wenn er einen anderen hätte verhaften können. Am besten einen Spieler, wenn das möglich gewesen wäre, aber Allardyce hätte es auch getan. Noch besser einen Künstler, der ein bohemienhaftes und in höchstem Maße befremdendes und ausschweifendes Leben lebte, und nicht einen Arzt, der seine Zeit damit verbrachte, Kranke zu heilen, die gewöhnlichen Armen, die in dieses spezielle Krankenhaus kamen. Aber Runcorn besaß weder den Mut noch die Phantasie, seiner Pflicht nicht nachzukommen!
Nein, das war nicht fair, und Monk wusste es in dem Augenblick, in dem der Gedanke ihm durch den Kopf ging. Auch Monk hätte Kristian verhaftet, selbst wenn nicht Runcorns Anwesenheit ihn dazu gezwungen hätte. Das, was er wusste, war genug. Er hätte Kristian verzeihen können, dass er Elissa umgebracht hatte. Sie hatte ihn bis über die Grenzen der Nachsicht hinaus provoziert. Aber Sarah hatte nichts getan, außer zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein. Es war nicht logisch, und er hätte es nicht erklären können, aber die Tatsache, dass niemand außer Mrs. Clark und Runcorn um sie getrauert hatten, machte den Mord in seinen Augen zu mehr als einem Verbrechen.
Der letzte Patient kam heraus, nach knapp einer Minute gefolgt von Kristian. Er stand steif, aufrecht und hoch erhobenen Hauptes mitten im Raum. Um seine Augen herum waren deutliche Zeichen der Schlaflosigkeit zu erkennen, und seine Haut war ohne jegliche Farbe. »Ich nehme an, Sie glauben, dass ich Elissa umgebracht habe«, sagte er leise, ohne einen von beiden anzusehen. »Ich war es nicht, aber ich kann es nicht beweisen.«
»Es tut mir Leid, Dr. Beck«, erwiderte Runcorn. Ihm war äußerst unbehaglich zu Mute, aber er würde sich nicht davor drücken, seine Pflicht buchstabengetreu zu erfüllen.
»Ich weiß nicht, ob Sie sie umgebracht haben oder nicht, aber alle Beweise zeigen in Ihre Richtung, und es gibt nichts, was andeuten würde, dass es jemand anders war. Sie müssen mitkommen, Sir. Ich verhafte Sie wegen des Mordes an Elissa Beck und Sarah Mackeson.«
Kristian sagte nichts.
Monk räusperte sich. Er war überrascht, wie schwer es ihm fiel, ruhig zu sprechen. »Möchten Sie, dass ich Ihnen zu Hause ein paar Kleider hole?«
Kristian blinzelte und wandte sich ihm zu. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dem Krankenhaus berichten würden, was passiert ist, und … Mrs. Talbot, die mir das Haus sauber hält.« Der Hauch eines Lächelns huschte über seinen Mund und berührte seine dunklen Augen. »Fermin Thorpe wird entzückt sein. Endlich gibt es etwas, wodurch er sich in seiner schlechten Meinung über mich gerecht- fertigt sieht.« Er hätte nichts sagen können, wodurch Monk sich noch miserabler oder noch unzulänglicher gefühlt hätte. Monk merkte, dass Kristian dies erkannte und sich nicht entschuldigen konnte, obwohl er es möglicherweise nicht beabsichtigt hatte.
»Ich werde mich um beides kümmern«, antwortete
Monk und sah Runcorn an. Runcorn nickte.
Kristian hielt ihm den Haustürschlüssel hin.
»Danke.« Monk nahm ihn und wandte sich schweren
Herzens ab.
Monk fuhr direkt nach Haverstock Hill und schloss mit Hilfe des Schlüssels die Haustür auf. Mrs. Talbot war bereits gegangen, und es war nirgends ein Geräusch oder eine Bewegung zu vernehmen. Er fand es äußerst quälend, die leeren, kühlen Räume zu sehen und nach oben in das kahle Schlafzimmer zu gehen, das Kristian bewohnte. Im Ankleidezimmer fand er nur das Notwendigste – eine einfache Bürste, ein Rasiermesser und einen ledernen Streichriemen, Manschetten- und Hemdknöpfe, wie sie ein Sekretär oder Ladeninhaber besitzen mochte. Im Kleider- schrank fand er vier saubere Hemden und ein Minimum an Unterwäsche sowie zwei weitere Anzüge und ein anderes Paar sorgfältig besohlter Stiefel. Dies war der ganze Besitz eines Mannes mit sehr viel Können und Erfahrung, der jeden Tag der Woche von der Morgendämmerung bis spät in die Nacht hinein arbeitete.
Monk hinterließ eine Nachricht für Mrs. Talbot, wobei ihm nicht die richtigen Worte einfallen wollten, dann nahm er die Kleider mit zum Polizeirevier und gab sie beim Sergeant am Empfang für Kristian ab. Jetzt konnte er es nicht länger hinausschieben, er musste nach Hause gehen und Hester erzählen, dass und warum er versagt hatte.
Als er wieder hinaus auf die Straße trat, regnete es. Er lief fast anderthalb Kilometer
Weitere Kostenlose Bücher