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Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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lächelte.
    Einen kurzen Augenblick glaubte er, sie würde ihn auslachen, dann las er genauer in ihrem Gesicht, und seine Augen füllten sich unvermutet mit Tränen. Er wandte sich ab, um sich zu schnäuzen.
    Sie gewährte ihm einen Augenblick, aber nur einen, dann stand sie auf, ging zu ihm, umarmte ihn und hielt ihn so fest sie konnte. Sie sagte nichts. Sie konnte nicht versprechen, dass alles in Ordnung kommen würde, dass Imogen nichts mit der Sache zu tun hatte, nicht einmal,
    dass sie jetzt aufhören würde zu spielen. Hester verstand nichts von diesen Dingen. Aber sie wusste, dass er Elissa nicht getötet haben konnte, und sie konnte es beweisen.
    Die Fahrt zum Krankenhaus war die schlimmste Fahrt, an die Monk sich je erinnern konnte. Er und Runcorn nahmen einen Hansom, der draußen warten sollte, damit sie für die Rückfahrt mit Kristian Beck zum Polizeirevier keinen neuen suchen mussten. Keiner von ihnen erwähnte die Möglichkeit, den Gefangenenwagen zu nehmen, mit dem Verbrecher üblicherweise transportiert wurden. Sie saßen nebeneinander, ohne zu sprechen, und wichen einander auch mit ihren Blicken aus, denn sonst wäre das Schweigen noch offensichtlicher gewesen.
    Monk dachte darüber nach, wie er Callandra beibringen sollte, dass er versagt hatte. Immer wieder verwarf er die Formulierungen, die ihm einfielen, als falsch und ungewollt herablassend, etwas, was sie am allerwenigsten verdiente.
    Als sie am Krankenhaus ankamen, wies Runcorn den Droschkenkutscher an, auf sie zu warten. Monk hatte das Gefühl, versagt zu haben, weil er nicht verhindert hatte, dass Callandra sich Hoffnungen machte, und er sie nicht gleich zu Anfang ganz offen gewarnt hatte, um sie auf das hier besser vorzubereiten.
    Sie gingen nebeneinander die Treppe hinauf und traten durch die Türen in den vertrauten Geruch von Karbol, Krankheit, Ruß und Fußböden, die zu oft feucht waren. Die Korridore waren leer, bis auf drei Frauen mit Mopps und Eimern, aber sie brauchten nicht nach dem Weg zu fragen. Inzwischen wussten sie beide, wo Kristians Räume und der Operationssaal waren.
    »Wollen wir …«, fing Monk an.
    »Wollen wir was?«, fragte Runcorn scharf und warf ihm
    einen wütenden Blick zu.
    »Warten, bis er mit seinen Patienten fertig ist?«, beendete Monk seinen Satz.
    »Was, zum Teufel, glauben Sie, was ich vorhabe?«, fuhr Runcorn ihn an. »Ihn hier rauszerren, während er noch ein Skalpell in der Hand hält und irgendeinem armen Teufel den Arm erst halb amputiert hat?« Er schob die Fäuste wütend in seine Taschen, schritt den Korridor entlang, ohne sich nach Monk umzusehen, verschwand um die Ecke und überließ es Monk, ihm zu folgen.
    Zufällig operierte Kristian nicht, aber er hatte noch fünf Patienten im Wartezimmer, und Runcorn setzte sich auf die Bank, als wäre er der sechste. Er warf Monk einen finsteren Blick zu und ignorierte ihn von da an.
    Die Tür ging auf, und Kristian kam heraus. Zuerst sah er
    Runcorn, dann fiel sein Blick auf Monk.
    Monk würde nicht lügen, nicht einmal andeutungsweise. In dem Augenblick, in dem Kristian Monks Blick erwiderte, war die Frage da, und gleich darauf das Begreifen. Etwas in ihm verblasste, als wäre er am Ziel eines Ausdauertests angekommen und hätte den Punkt erreicht, an dem er nicht mehr kämpfen konnte.
    »Mr. Newbury?«, sagte er, wandte sich von Monk ab und sah einen großen Mann mit blassem, schlaffem Gesicht und schütterem Haar an. »Würden Sie bitte hereinkommen?«
    Newbury stand auf und humpelte durch den Raum, wobei ihm alle zusahen.
    Monk saß steif auf seinem Stuhl, zwang sich, nicht herumzuzappeln und nicht aufzustehen und auf und ab zu gehen. Die anderen Menschen hier waren krank und fürchteten sich womöglich vor den Schmerzen oder den Leiden, die ihnen noch bevorstanden. Kristian war mit Gott weiß was konfrontiert. Alles, womit Monk zurecht-
    kommen musste, war die traurige Aufgabe, Kristian zu verhaften und dann Hester und Callandra zu erzählen, was passiert war. Das war vergleichsweise nichts.
    Dennoch schleppten sich die Minuten dahin, und ein Patient nach dem anderen ging hinein. Monk war wütend auf Runcorn, einfach weil er hier war, weil er wusste, was in Monks Kopf vorging, weil er mit ihm zusammen- gearbeitet hatte und sich an tausend Dinge erinnerte, von denen Monk nichts mehr wusste. Und gleichzeitig hatte er den Wunsch, etwas zu ihm zu sagen, um das Warten zu erleichtern, weil er wusste, dass auch Runcorn das, was sie tun mussten, nur sehr

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