Gefährliches Geheimnis
dazu war ich nicht bereit.«
»Dafür ist es jetzt zu spät, Kristian«, erwiderte Callandra. »Wir haben höchstens noch fünfzehn Minuten, bevor der Constable zurückkommt. Pendreigh wird Sie vor Gericht verteidigen. Ich weiß nicht, ob er erwartet, dafür bezahlt zu werden. Er tut es vielleicht einfach, weil er an Sie glaubt und es natürlich vorziehen würde, wenn man beweisen könnte, dass Sie nicht schuldig sind. Es würde ein nicht ganz so schlechtes Licht auf seine Tochter werfen, wenn sie von jemandem außerhalb der Familie
getötet worden wäre, denn dies erweckt in den Köpfen anderer Menschen weniger unglückliche Spekulationen. Und wenn er die Verteidigung unter Kontrolle hat, kann er verhindern, dass der Anklagevertreter allzu tief in die Erforschung ihres Charakters einsteigt. Er kann zumindest das tun, was jeder andere auch tun könnte.«
»Ich kann ihn nicht bezahlen«, sagte Kristian kläglich.
»Sicher ist er sich dessen so bewusst wie ich.«
»Das nehme ich an. Aber falls das Thema zur Sprache kommt, werde ich mich darum kümmern …« Sie sah seine Verlegenheit, aber jetzt war keine Zeit für Empfindlichkeiten. »Ich glaube, Geld ist das, was ihm im Augenblick am wenigsten Sorgen bereitet«, sagte sie aufrichtig. »Er ist einfach ein stolzer Mann, der mit aller Macht versucht, das, was von seiner Familie noch übrig ist, zu retten – die Wahrheit, wie seine Tochter starb, und die Sicherheit, dass nicht der falsche Mann dafür bestraft und dass der Rest ihres guten Rufes als die tapfere und lebenssprühende Frau, die sie war, gerettet wird.«
Plötzlich blinzelte Kristian, und seine Augen liefen über vor Tränen. Er wandte sich abrupt von ihr ab. »Sie war
…« Seine Stimme erstickte.
Callandra fühlte sich unbeholfen, plump und gewöhnlich und bitter allein. Aber sie konnte es sich nicht erlauben, ihrem eigenen Schmerz nachzugeben. Dafür würde genügend Zeit sein, später, vielleicht in Jahren.
»Kristian – irgendjemand hat sie umgebracht.« Sie hatte nicht vorgehabt, so brutal zu klingen – zumindest ein Teil von ihr hatte das nicht gewollt. »Die beste Verteidigung wäre, herauszufinden, wer es war.«
Er wandte ihr immer noch den Rücken zu. »Glauben Sie nicht, ich hätte es Ihnen erzählt, wenn ich es wüsste? Hätte es allen erzählt?«
»Natürlich, wenn Sie sich bewusst wären, dass Sie es wissen«, gab sie ihm Recht. »Aber es hatte nichts mit Sarah Mackeson zu tun, außer dass sie unglücklicherweise zur Stelle war, und es war nicht Argo Allardyce. Wir sind der Möglichkeit nachgegangen, dass es jemand war, der Schulden eintreiben und an ihr ein Exempel statuieren wollte, damit andere noch mehr Angst davor hätten, ihre Schulden nicht zu begleichen.«
»Tatsächlich?«
»Ja. William hat mir versichert, dass vorsätzlich Leute verletzt werden, damit sie zahlen, oder dass sogar jemand umgebracht wird, von dessen Tod die anderen Spieler erfahren, aber nicht, um eine große polizeiliche Unter- suchung wie diese auszulösen. So etwas lenkt viel zu viel Aufmerksamkeit auf sie. Spielstätten werden geschlossen. Überall, wo Elissa gewesen war, könnte es eine Menge Ärger geben, und man ist alles andere als glücklich, dass sie umgebracht wurde. Man hat Verluste gemacht, und Runcorn lässt das Haus zweifellos schließen, wenn er fertig ermittelt hat.«
»Gut!«
»Nicht dauerhaft«, antwortete sie wahrheitsgemäß und wünschte sofort, sie hätte es nicht gesagt.
»Nicht dauerhaft?« Er sah sie langsam an.
»Nein. Sie machen einfach irgendwo anders wieder auf, hinter einer Apotheke, einer Hutmacherin oder irgend- einem anderen Laden. Es kostet sie einiges, sie verlieren ein wenig Profit, das ist alles.«
Er war zu müde, um wütend zu werden. »Natürlich. Das ist eine Hydra.«
»Es muss jemand anders gewesen sein«, wiederholte sie.
»Jemand Vertrautes.«
Er antwortete nicht.
In der Zelle herrschte Schweigen, aber es war, als könnte sie das Ticken der verstreichenden Sekunden hören. »Ich werde William bitten, nach Wien zu fahren und Max Niemann ausfindig zu machen.«
Er starrte sie an. »Das ist absurd! Max hätte ihr nie im Leben ein Haar gekrümmt, ganz zu schweigen sie umge- bracht! Wenn Sie ihn kennen würden, würden Sie diesen Gedanken keinen Augenblick in Erwägung ziehen!«
»Wer war es dann?« Sie sah ihm unverwandt in die Augen. Es tat weh, tief in ihnen die Angst zu sehen, die streitenden Loyalitäten, den Schmerz. Aber sie hatte oft den Tod
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