Gefährliches Geheimnis
Sinn.«
Callandra konnte sich nicht dazu durchringen, mit ihm zu streiten. Die Hoffnung war zu schwach, und sie fürchtete, ohne diese Hoffnung die Selbstkontrolle zu verlieren. Sie erhob sich und stand sehr aufrecht da. »Vielen Dank für Ihre Offenheit, Mr. Runcorn. Ich bin Ihnen sehr verbunden. Ich glaube, ich darf Dr. Beck sehen, da er noch nicht schuldig gesprochen wurde.« Es war eine Feststellung.
»Ja, Madam. Natürlich. Soll ich …?«
»Nein, vielen Dank. Ich habe Ihre Zeit genug in Anspruch genommen. Den Weg hinunter finde ich auch allein, und der Sergeant am Empfang wird mir sicher sagen, wohin ich dann gehen muss. Guten Tag, Mr. Runcorn.«
Er beeilte sich, ihr die Tür aufzuhalten, und schaffte es gerade noch. »Guten Tag, Madam«, sagte er, riss die Tür auf und schlug sie sich gegen den Fuß, ohne sich auch nur im Geringsten anmerken zu lassen, dass sie genau auf dem Hühnerauge an seinem kleinen Zeh gelandet war, außer dass er ganz schnell einatmete und dann die Luft langsam wieder ausströmen ließ.
Nachdem Callandra mit dem Sergeant am Empfang gesprochen hatte, wurde sie zu den Zellen geführt. Sie hatte sich überlegt, was sie sagen würde, aber nichts konnte sie emotional vorbereiten. Sie stand auf dem Steinfußboden in dem geschlossenen Raum, dem Geruch nach Eisen und Staub, der merkwürdigen Mischung aus Kälte und mensch- lichem Schweiß, die ihr den Atem raubte. Jetzt galt es, mutig zu sein. Es war nicht der Ort, der sie erschreckte, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie Kristians Blick begegnen würde und nicht wusste, was sie darin entdecken würde. Fürchtete sie sich vor Zurückweisung oder davor, dass ihre Dummheit entlarvt wurde, und vor der Peinlichkeit, die dem folgen würde? Oder vor der Anstrengung, die Scharade aufrechtzuerhalten, dass alles in Ordnung kommen würde – er war nicht schuldig, und selbst wenn es eine Weile dauern würde, würden sie es beweisen? Oder war es das Eingeständnis, dass ihnen das am Ende womöglich nicht gelingen könnte?
Konnte sie damit umgehen und einfach weitermachen? Sie war sich nicht sicher.
Der Constable hatte bereits zweimal das Wort an sie gerichtet, und sie hatte nicht geantwortet. Er fürchtete schon, sie sei unpässlich.
»Natürlich«, sagte sie forsch und schluckte. Sie wusste nicht, was er gesagt hatte, aber er schien mit der Antwort zufrieden zu sein. Er ging voraus durch einen engen, hallen- den Gang, in dem ihre Schritte klangen, als wären ihre
Schuhe mit Eisen beschlagen. Er zog einen riesigen Schlüs- sel hervor und ließ sie in eine Zelle. Kristian stand mitten im Raum, er trug ein kragenloses Hemd und einfache, dunkle Hosen. Er sah erschöpft aus, und seine Haut war grau, obwohl er so aussah, als hätte er sich frisch rasiert.
Überraschung huschte über sein Gesicht, Freude und dann Wachsamkeit. Er hatte zu viele Schocks durchlitten und betrachtete alles mit Argwohn. Er lächelte leicht, aber seine Augen waren nicht beteiligt.
Mit einem Ruck, als wäre sie neben eine Treppenstufe getreten, wurde Callandra klar, dass er nicht wusste, was er von ihr zu erwarten hatte. Irgendwie überraschte sie das, obwohl es völlig vernünftig war. Schließlich wusste sie selbst nicht, was sie von sich erwarten sollte.
Würde der Constable die ganze Zeit dabeistehen? Sie wandte sich ihm zu. »Sie können jetzt gehen«, sagte sie energisch. »Schließen Sie mich ein, wenn Sie wollen oder Ihre Vorschriften es erfordern. Ich bin vollkommen sicher. Sie können mein Retikül nehmen, wenn Sie fürchten, ich hätte darin eine Waffe. In etwa einer Stunde bin ich bereit, wieder zu gehen.«
»Tut mir Leid, Miss, so lange können Sie nicht bleiben«, erwiderte der Sergeant. »Eine halbe Stunde.«
»Ich bin nicht ›Miss‹, ich bin Lady Callandra Daviot«, verbesserte sie ihn forsch. »Dann seien Sie so gut und kommen Sie in einer halben Stunde wieder – und nicht in fünfundzwanzig Minuten. Und vergeuden Sie die wenige Zeit, die ich habe, nicht, indem Sie lauschen. Ich habe nichts Geheimes zu sagen, aber es ist vertraulich und geht Sie nichts an.«
Er sah verblüfft aus, beschloss aber wohl, dass er es sich nicht erlauben konnte, gekränkt zu sein. »Ja, Mylady«, sagte er gehorsam, zog sich zurück und schloss die Tür
mit einem Knall hinter sich.
In Kristians Miene blitzte Humor auf, der jedoch gleich wieder erstarb. Er rang darum, etwas zu sagen, was nicht lächerlich klang, und verwarf einen Gedanken nach dem anderen.
»Hören Sie
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