Gefaehrliches Schweigen
großen Pause verzog ich mich auf die Toilette. Ich wollte ungestört sein und mich in aller Ruhe selbst bemitleiden. Auf dem Klodeckel hockend grübelte ich in einer der Kabinen darüber, wie ich mich von diesen Verdächtigungen reinwaschen könnte.
Da kam jemand herein. Ich hörte zwei Mädchen aufgeregt aufeinander einreden.
„… unglaublich. Voll krank.“
„Sag ich doch.“
„Total übertrieben, aber ehrlich.“
„Aber warum ist sie denn so stinkig geworden?“
„Er hat aus ihrem Tagebuch vorgelesen.“
Mir wurde ganz kalt.
Redeten sie etwa über … mich?
„Das war natürlich echt fies, aber deswegen schlägt man doch nicht gleich zu!“
„Voll krass, so was. Glaubst du, sie hat …?“
Zu einer Fortsetzung kam es nicht. Ich lehnte mich an die Tür, die Tür ging auf und ich kippte heraus.
Was sagt man in so einer Situation?
Wenn man vom Teufel spricht ? Oder Hoppla ?
Ich kam weder dazu, das eine, noch, das andere zu sagen. Die Mädchen starrten mich mit großen Augen an, während sie schleunigst den Rückzug antraten.
„Aber hallo! Ich hab doch nicht …“
Ich stürzte hinter ihnen her, doch sie waren wie zwei Rennläuferinnen davongesprintet und schon über alle Berge.
Dampfend vor Wut machte ich mich auf die Suche nach Simon. Der Schulhof war voller eifrig redender Grüppchen. Nur Simon stand ein paar Meter entfernt allein da und starrte mich feindselig an, als ich angetrabt kam.
„Du bist ja total krank!“, schrie ich schon von Weitem.
„Musst ausgerechnet du sagen!“, konterte Simon und deutete auf sein übel zugerichtetes Gesicht.
„Du lügst!“
Er sah sich verstohlen um. Alle auf dem Schulhof spitzten neugierig die Ohren.
„Klar hast du mich geschlagen“, murmelte er, ohne meinem Blick zu begegnen.
In mir begann es wieder zu brodeln. Wir wussten beide, dass er log.
„Was soll dieses beschissene Geschwätz!“
Ich trat einen Schritt auf Simon zu, der nach hinten hüpfte, offensichtlich aus Angst vor mir.
„Meine Mutter wird dich anzeigen!“, teilte er mit.
Er drehte sich um und begann schnell auf das Schulhaus zuzugehen.
Ich schoss mit einem Satz vor und streckte einen Arm aus, um ihn aufzuhalten.
Ein paar Jungs aus der Neunten kamen zu uns hergerannt. Ich wurde von starken Armen gepackt und festgehalten.
„Hör auf!“, sagte Elias. „Hast du nicht schon genug angerichtet?“
„Aber ich hab doch gar nichts getan!“, schrie ich wütend.
Jo kam hergerannt. Mit glühenden braunen Augen deutete sie mit dem Zeigefinger auf Elias.
„Lass sie los!“
Elias stand hinter mir, ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Eingeschüchtert war er wohl kaum, aber immerhin lockerte er seinen Griff.
Der Tumult lockte auch Lundström und den Rektor her.
„Alles in Ordnung?“, fragte Lundström mit einem scharfen Blick auf mich.
„Ja, ja“, antwortete Elias schnell. „Kein Problem. Wir haben die Sache geklärt.“
Die Erwachsenen nickten ihm zufrieden zu. In meinen Augen war Elias ein verlogener Typ. Simon interessierte ihn kein bisschen. Er war nur darauf aus, seine eigenen Noten aufzubessern. Elias hat sich bei einem Sportgymnasium beworben und jetzt hatte er natürlich zusätzliche Punkte eingeheimst.
Ich dagegen kaum.
Mitten im Englischunterricht wurden wir vom Räuspern des Rektors unterbrochen. Die meisten von uns hüpften erschrocken hoch, bevor sich Gekicher im Klassenzimmer ausbreitete. Der Rektor hatte immer noch nicht gelernt, wie die Lautsprecheranlage funktioniert.
Schließlich gelang es ihm, die Lautstärke herunterzuschrauben und – „aus gegebenem Anlass“ – eine knisternde Brandrede darüber zu halten, dass an unserer Schule für Mobbing eine Null-Toleranz-Politik gelte. Es sei feige, über seine Mitschüler herzufallen. Streitigkeiten sollten mit Worten ausgetragen werden, nicht mit Fäusten.
Mir steckte das Herz wie ein Kloß im Hals. Ich spürte die Blicke der anderen. In ihren Augen war ich eine feige Person, die einen Klassenkameraden gemobbt und misshandelt hatte.
Ich wollte aufstehen und brüllen, dass ich unschuldig sei. Stattdessen blieb ich sitzen, wandte mein flammend rotes Gesicht dem Fenster zu und wünschte, der Rektor würde seine Rede endlich beenden.
Doch das tat er nicht.
„Während des gestrigen Tumults auf dem Schulhof sind aus den unverschlossenen und unbewachten Klassenzimmern die Wertsachen mehrerer Schüler entwendet worden. Handys, Geldbeutel und Taschenrechner sind verschwunden. Das ist äußerst
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