Gefaehrliches Schweigen
trotzdem.
Trotz allem war er ja mit mir zusammen.
„Glaubst du, die lassen so einen Schlägertyp wie dich überhaupt rein?“, fragte Linus, als wir uns Simons Haus näherten.
„Darum bist du ja dabei. Als Leibwächter.“
„Du brauchst keinen Leibwächter.“
„Ich nicht, aber Simon. Wenigstens glaubt seine Mutter das.“
Rechter Hand lag der dunkle Wald, aber links auf unserer Seite leuchteten die Fenster warm und gemütlich.
Ich wappnete mich gegen die Begegnung mit Simons Mutter und ihren Falkenblick, aber als wir läuteten, war es der Vater, der aufmachte. Er trug eine starke Brille und war erstaunlich groß, wenn man bedenkt, dass Simon einen Kopf kleiner ist als ich.
Als ich fragte, ob ich Simon sprechen dürfe, brummte er irritiert.
„In letzter Zeit hat der Bengel so schlechte Noten heimgebracht, dass ich ihm eigentlich gar nichts anderes außer büffeln erlauben sollte. Aber wenn es nur kurz ist, dann von mir aus.“
„Wir wollten mit ihm über Hausaufgaben reden“, flunkerte ich.
Mit einem freundlicheren Nicken wies er auf die Küche.
„Meine Frau ist nicht zu Hause. Ich hab zu tun …“
„Wir kennen uns aus“, behauptete ich schnell.
Wir mussten eine Zeit lang umherirren. Das Haus war alt, mit dunklen Tapeten und altertümlichen Möbeln, Tische mit Löwenpranken und so.
„Hier kann man ja echt totale Depris kriegen“, flüsterte ich.
Wir liefen eine dunkle, geschwungene Holztreppe hinauf und passierten eine offene Tür, die in ein Schlafzimmer mit Kachelofen führte, wo ein großes Doppelbett mit einem gehäkelten Überwurf stand. Wir gingen weiter zur einzigen Tür, die geschlossen war, und öffneten sie.
Simon saß an einem massiven Schreibtisch, der mindestens hundert Jahre alt zu sein schien. Der Computer mit dem Flachbildschirm passte schlecht dazu. Simon spielte irgendein Spiel, hatte Kopfhörer auf und hörte uns daher nicht.
Ich trat ein. Er musste eine meiner Bewegungen kurz aus dem Augenwinkel wahrgenommen haben. Mit gereizter Miene drehte er sich um und zuckte zusammen, als er uns erkannte.
„Was habt ihr hier zu suchen?“, fragte er mit eisiger Stimme.
„Wir wollen mit dir reden.“
Er riss sich die Kopfhörer vom Kopf. Plötzlich hallte dröhnende Musik durchs Zimmer.
„Aber ich will nicht mit euch reden. Vor allem nicht mit dir.“
Seine Proteste waren mir egal.
„Den Schmuck von Frau Asp hast du doch gestohlen, oder?“
„Nein. Das warst du.“
Ich seufzte.
„Hör auf! Du und ich, wir kennen die Wahrheit. Was treibst du eigentlich?“
An seinem Hals tauchten rote Flecken auf. Er starrte mich hasserfüllt an.
„Als ob dich das interessieren würde. Die ganzen Jahre, die wir in derselben Klasse verbracht haben, hast du mich nie auch nur eines Blickes gewürdigt. Was weißt du schon über mich?“
„Nicht viel. Erzähl.“
Ob er vorgehabt hatte, das zu tun, erfuhr ich nicht. Plötzlich beanspruchte etwas anderes unsere Aufmerksamkeit.
Ein weiß-schwarz geflecktes Kaninchen guckte unter Simons Bett hervor und schnupperte mit zitternden Barthaaren.
„Oooh, ist das süß!“
Das Kaninchen erstarrte beim Klang meiner Stimme, hüpfte dann aber weiter zu Simon hin. Behutsam nahm er es in die Arme. Erst da entdeckte ich etwas Eigenartiges. Das eine Ohr des Kaninchens war von Wundpflaster bedeckt und schien kürzer zu sein als das andere.
„Was ist denn mit seinem Ohr passiert?“, fragte ich.
Simon strich mit der Hand über das weiche Fell des Kaninchens und schluckte ein paar Mal.
„Ein Unfall.“
Seine Stimme klang rau, und während er sein Kaninchen ansah, musste er noch einmal schlucken.
Plötzlich gab sein Handy auf dem Schreibtisch einen Ton von sich. Er sah es an, als wäre es eine Schlange, streckte aber schließlich die Hand danach aus und klickte die Nachricht an.
Beim Lesen runzelte er die Stirn und verzog den Mund zu einer Grimasse. Er tippte eine Antwort, sandte sie ab und klappte dann den Handydeckel zu.
„Hör mal, Simon …“, begann ich.
Er schüttelte den Kopf.
„Geht jetzt!“
Er drehte sich wieder zu seinem Computer um und setzte den Kopfhörer auf.
„Simon, kannst du nicht einfach sagen, was los ist?“
Er drehte die Lautstärke auf, ohne mich anzusehen.
Wir warteten eine Weile, gaben dann aber auf und gingen.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Linus, als wir ins Freie kamen.
Ich spähte ratlos zu Simons Fenster hoch.
„Weiß nicht.“
Plötzlich sah ich ihn ans Fenster treten und herausschauen, als
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