Gefährliches Talent: Kriminalroman
September noch weiß zu tragen. Und was die klimpernden Armreifen, bunten Schals und seidigen, weich fließenden Hosen anging, die Chris trug – also, ihr standen sie gut, aber für Alix war so etwas einfach nichts.
Ihre Mutter war allerdings in jeder Hinsicht konventionell gewesen, im Großen wie im Kleinen. Sich in Geoffrey London zu verlieben, war die einzige Verrücktheit, die sie sich jemals geleistet hatte, und die war sie teuer zu stehen gekommen. Nicht in finanzieller Hinsicht, denn sie hatte das ihr zustehende Erbe, aber ihre Familie wandte sich von ihr ab. Von Anfang an hatten sie sich geweigert, den fröhlichen englischen Hallodri in ihrer Mitte aufzunehmen, und so war es keine Überraschung gewesen, dass nur ein Onkel zur Beerdigung ihrer Mutter gekommen war, und der war das einzige andere schwarze Schaf der Sippe. In den Fünfzigerjahren hatte Onkel Julian sich von seiner Frau scheiden lassen, um in Las Vegas eine äußerst kurzlebige (und ebenso teure) Ehe mit einer langbeinigen Tänzerin aus dem »Flamingo«einzugehen. Anschließend war er geläutert und demütig wieder zu seiner ersten Frau zurückgekehrt, aber der Schaden war angerichtet. Vergeben und vergessen war nicht die Sache der Familie Van Hoogeren.
Daher war es auch nicht weiter verwunderlich, dass niemand von dieser Seite ihrer Familie Alix nach der Verhaftung ihres Vaters Hilfe angeboten oder auch nur Anteilnahme gezeigt hatte. Das würde sie ihnen nicht so schnell vergeben. Oder es gar vergessen.
»Also, los geht’s«, sagte Chris und ihre Armreifen aus Silber und Türkis klimperten leise, als sie vorsichtig in den St. Francis Drive einbog und Richtung Norden fuhr. Sie fuhr vorsichtig auf der rechten Spur, schaute alle paar Sekunden in die Spiegel und hielt gebührenden Abstand zu den anderen Fahrzeugen.
Alix war überrascht, denn sie hätte Chris niemals für eine übervorsichtige Fahrerin gehalten. Die Passanten blieben am Straßenrand stehen und bestaunten das Auto. Alix hätte sich eher ein weniger auffälliges Fahrzeug gewünscht, denn vielleicht war ja jemand hinter ihr her, der sie umbringen wollte, da wollte sie nicht unbedingt auf dem Präsentierteller sitzen. Aber Chris war offensichtlich ganz in ihrem Element, deshalb sagte sie nichts.
Als der St. Francis Drive in den Highway 84 überging, kroch Chris immer noch mit quälend langsamen fünfundvierzig Stundenkilometern auf der rechten Spur dahin und ihr ganzer Körper war angespannt wie eine überdehnte Klaviersaite. Sie hatte das schwarze Wildlederlenkrad so fest gepackt, als hätte sie Angst, dass es davonfliegen könnte.
»Chris«, sagte Alix misstrauisch, »Sie haben noch nie so einen Wagen gefahren, oder?«
Chris machte ein übertrieben beleidigtes Gesicht. »Natürlich, wo denken Sie hin?«
»Und wann?«
»Heute«, sagte sie. »Ich bin vom Autoverleih auf der Cerrillos Road den ganzen Weg bis zur Hacienda gefahren, an die sechs Kilometer. Ich fahre doch ganz gut, oder?«
»Gut genug für einen Toyota Camry mit einem ›Baby an Bord‹-Schild vielleicht, aber für einen Lamborghini Gallardo LP 560 ist Ihr Fahrstil nicht so berauschend.«
»Sie kennen sogar das Modell?«, sagte Chris erstaunt.
»Ja, ich habe schon mal so einen gefahren, aber ein älteres Modell.«
»Im Ernst? Wo?«
»In Italien. Im Juli und August hat mich Fabrizio meistens am Wochenende mit zum Sommerhaus seiner Familie in Ravello genommen. Er fand, dass ich mich langsam zur Einsiedlerin entwickelte, womit er wohl recht hatte, und dass ich mal unter Leute kommen und mich entspannen müsste. Das tat ich dann auch und es hat mir sehr gut gefallen. Die Santullos waren unheimlich nett und Ravello ist ein Traum. Also, sein Sohn Gian-Carlo war Amateur-Rennfahrer gewesen und hatte einen Fuhrpark mit
sechs
Sportwagen, darunter zwei von denen hier. Er hat mir ein paar Tage Fahrunterricht gegeben und gesagt, ich könnte mir immer einen von seinen Wagen borgen, wenn ich in Ravello bin, und ich habe ihn beim Wort genommen. Ich bin oft samstagmorgens an der Amalfiküste entlanggefahren. Es war einfach atemberaubend: auf der einen Seite eine grandiose Berglandschaft, auf der anderen das Mittelmeer, blau glitzernd … Strände, Villen …«
»In einem Lamborghini die Amalfiküste entlangfahren«, sagte Chris verträumt. »Hört sich einfach toll an.« Sie sah Alix verschmitzt an. »Und waren Sie bei diesen Ausflügen allein oder war dieser faszinierende Gian-Carlo auch dabei?«
»Dieser faszinierende
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