Gefaehrliches Verlangen
Vorhang unter donnerndem Applaus ein letztes Mal fällt, gehe ich hinter die Bühne, wo Jen und Dad mich bereits erwarten.
»Soph! Wir haben eine Überraschung für dich«, ruft Jen.
»Wie kommt ihr denn hierher? Und wieso grinst ihr so?«
»Wir haben eine Nachricht. Von Marc«, antwortet Jen.
»So?«
»Ja.« Jen zieht einen schlichten braunen Umschlag aus ihrer Handtasche. »Für Sophia. Bitte direkt nach der letzten Vorstellung öffnen« , steht darauf.
Ich runzle die Stirn. Das klingt irgendwie nicht nach Marc, andererseits … kennt er meine Schwäche für Überraschungen.
»Danke.« Ich reiße den Umschlag auf und ziehe ein weißes Blatt Papier heraus. Die Nachricht ist mit wuchtiger Computerschrift geschrieben.
Beim Anblick der Worte verkrampft sich mein Magen, und mir bleibt der Mund offen stehen.
Der Zeitpunkt für die Rache ist gekommen, Sophia Rose.
Wir haben deinen kleinen Bruder Samuel.
Wenn du nicht tust, was wir dir sagen, wird er Schmerzen leiden.
SPRICH MIT NIEMANDEM !
Fahr sofort zu Marc Blackwells Haus in Richmond.
Wir erwarten dich.
PAIN
»Woher hast du die Nachricht?«, frage ich Jen, sorgsam darauf bedacht, das Zittern meiner Hände zu verbergen.
»Sie wurde im Cottage abgegeben, gleich nachdem du weg warst. Wieso, ist alles in Ordnung?«
»Ja, ja.« Ich versuche, ruhig zu klingen. »Absolut in Ordnung. Marc will nur, dass ich zu ihm komme, das ist alles.«
»Er kommt nicht hierher? Aber es ist bald Mitternacht.«
»Er ist … Wir treffen uns anderswo.« Ich wedle mit dem Brief. »Bin bald zurück.«
❧ 71
M ein ausladendes Kostüm bauscht sich um meine Beine, als ich aus dem Theater haste.
Ich schiebe mich durch die Passanten auf dem Gehsteig und schlage den Weg in Richtung U -Bahn-Station Tottenham Court Road ein.
Die anderen Fahrgäste starren mich an, aber das ist mir egal. Ich muss zu Marcs Haus in Richmond. Ich muss Sammy retten.
Die Straßen in dem Wohnbezirk sind still, und dicke Wolken bedecken den Himmel, sodass ich weder den Mond noch die Sterne sehen kann.
Schließlich stehe ich vor Marcs Stadthaus, allerdings habe ich keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Soll ich klingeln? Oder lieber rufen? Doch dann fällt mein Blick auf etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Am Geländer hängen Gegenstände.
Bei genauerem Hinsehen erkenne ich eine Babypuppe; eine von der Sorte, die die Augen zuklappt, wenn man sie auf den Rücken legt. Jemand hat sie ausgezogen, sodass lediglich der Körper aus weißem Baumwollstoff mit den kleinen Plastikarmen und -beinchen kopfüber am Geländer hängt.
Daneben hängen eine Rose – allerdings ohne die Blütenblätter, sondern nur der blanke Stiel –, ein Paar Handschellen und ein Spielzeugmesser.
Ich blicke zum Haus hinüber. Es ist alles dunkel. Offenbar ist niemand da. Vielleicht war das nur ein gemeiner Scherz von PAIN , um mir Angst zu machen.
Gerade als ich auf die Klingel drücken will, trifft etwas Hartes meine Hand.
Ich wirble herum, doch noch bevor ich sehen kann, was es war, packt mich jemand bei den Haaren, schleudert mich zu Boden. Dürre Klauenfinger zerkratzen mir die Wangen, während ich versuche, mit dem Arm mein Gesicht zu schützen. In diesem Moment sehe ich Ceciles wutverzerrtes Gesicht über mir aufragen.
»Du elende Schlampe«, faucht sie. »Höchste Zeit, dass du für das büßt, was du angerichtet hast.«
Ich bemühe mich nach Kräften, ihre Schläge abzuwehren, aber natürlich will ich eine Schwangere nicht verletzen. Das bringe ich einfach nicht über mich.
»Cecile.« Ich schlage ihr auf die Hände und versuche, sie wegzuschieben. »Das ist doch völlig verrückt. Du brauchst Hilfe.«
»Ich brauche keine Hilfe!«, kreischt sie. »Wieso wollen mir das alle ständig einreden?«
Es gelingt mir, sie ein Stück zurückzudrängen, und nun, da ich den ersten Schrecken über ihren Angriff überwunden habe, fällt mir auf, wie schmal ihr Gesicht geworden ist und wie sich der enge Kaschmirpullover an ihren Körper schmiegt.
Wo ist ihr Babybauch? Ich kann nicht einmal eine winzige Wölbung entdecken.
Ich rapple mich hoch. »Du bist gar nicht schwanger.«
Cecile erhebt sich ebenfalls. »Ich habe es wegmachen lassen. Als sie von mir verlangt haben, dass ich all diese Tests durchführen lasse.«
»Hast du die Nachricht geschrieben? Wo ist Sammy?«
»Die Leute von PAIN haben ihn. Wenn du ihn wiedersehen willst, solltest du lieber mitkommen.«
Ich spüre, wie mir übel wird, und
Weitere Kostenlose Bücher