Gefaehrten der Finsternis
der Linken auf eine Tür in der Wand direkt vor ihnen zeigte. Lyannen, der seinen Satz trotzdem beendet hatte, allerdings nur noch mit einem unverständlichen Gemurmel, nickte und hoffte inständig, dass sie endlich seinen Mund freigeben würde. »Gut. Du gehst also jetzt durch diese Tür und gibst dein Bestes, in Ordnung? Und danach brauchst du dir um nichts mehr Gedanken zu machen.«
Lyannen nickte wieder, war aber immer noch nicht so ganz überzeugt. Irgendwo war hier ein Haken an der Sache … Bevor er noch irgendetwas zum Ausdruck bringen konnte, hatte ihn die Amazone über die Schwelle geschoben und den Vorhang hinter ihm geschlossen.
Lyannen schaute sich nervös um. Jetzt befand er sich in einem Schlafzimmer, das deutlich luxuriöser eingerichtet war als alle, die er bislang gesehen hatte. Ein Doppelbett stand darin mit einem
Baldachin, blütenweißen Laken und Vorhängen aus violetter Seide, die mit Goldfäden bestickt waren. In der hinteren Wand war schon wieder eine Tür, aber keiner hatte Lyannen gesagt, dass er dort durchgehen sollte, also nahm er an, dass er hier warten sollte. Falls sich nicht jemand unter dem Bett versteckt hatte, war niemand sonst im Raum. Was sollte er also in einem leeren Schlafzimmer machen? Seine Begleiterin, die doch sonst so geschwätzig war, hatte ihm das nicht erklärt. Er machte ein paar Schritte über den knarrenden Holzfußboden. Aber niemand kam aus irgendeinem Versteck. Er setzte sich aufs quietschende Bett und starrte verlegen auf seine Füße. Er hatte sich noch nie so lächerlich gefühlt, so ganz allein in einem leeren Raum, mit Perlchen geschmückt, während er darauf wartete, dass jemand kam oder irgendetwas geschah.
Doch da weiter nichts passierte, beruhigte er sich allmählich. Vielleicht wollten sie ihm nur ihre Gastfreundschaft beweisen? Er gähnte.Wie lange hatte er eigentlich nicht mehr geschlafen? Er wusste es nicht mehr. In der dunklen Kammer, in der man ihn eingesperrt hatte, hatte er keinen Schlaf finden können, aber hier war es deutlich gemütlicher. Wenn weiter niemand kam, könnte er ja ein kleines Nickerchen machen. Er war so unendlich müde, und keiner konnte von einem erschöpften Mann verlangen, allein in einem leeren Schlafzimmer zu bleiben, ohne sich hinzulegen. Seine Müdigkeit ließ ihn alle Hemmungen verlieren. Er streifte sich die Stiefel aus, was er unter anderen Umständen niemals in einem fremden Schlafzimmer gewagt hätte, und zog sich ein paar der Perlen aus den frisch gewaschenen Haaren. Sie rollten klappernd unter eine Kommode und er gähnte erneut. Misstrauisch schaute er sich um - es kam immer noch niemand -, dann streckte er sich mit einem langen Seufzer auf der merkwürdig festen Matratze aus.
Im selben Augenblick, als Lyannen seinen Kopf auf das Kissen sinken ließ, das offensichtlich mit Gänsefedern gefüllt war, wurde
der Vorhang an der Tür an der Rückwand des Raumes beiseitegeschoben und jemand betrat das Zimmer. Lyannen sprang wie von der Tarantel gestochen auf und war schrecklich verlegen.
Eine andere, wesentlich jüngere Amazone kam mit großen, entschlossenen Schritten auf ihn zu. Sie war nicht in Weiß und Violett gekleidet, sondern in ein leuchtend orangefarbenes Gewand und trug dazu einen kurzen goldenen Umhang. Sie hatte lange braune Locken mit einem leichten Stich ins Kupfer, große grüne Augen und war ungefähr so groß wie Lyannen, was für eine Sterbliche ungewöhnlich hochgewachsen war. Insgesamt schien ihre gesamte Gestalt nicht ganz zu einer Sterblichen zu passen, aber Lyannen konnte auf die Schnelle nicht erkennen, was an ihr anders war. Sie lächelte, doch Lyannen beruhigte das keineswegs. Er war allein in einem Schlafzimmer mit einer unbekannten Amazone und hatte sich noch dazu quasi beim Einschlafen ertappen lassen - eine sehr ungewöhnliche, um nicht zu sagen peinliche Situation für einen Ewigen.
»Sei gegrüßt!« Sie schenkte ihm ein freundliches Lächeln und setzte sich zu Lyannens großer Überraschung sogar zu ihm aufs Bett. Er fragte sich, ob diese Frauen denn überhaupt kein Schamgefühl kannten.
»Guten Abend«, antwortete Lyannen, der nicht unhöflich klingen wollte. Er rückte allerdings so weit wie möglich von der Amazone ab.
»Wie heißt du?«, fragte die junge Frau und blickte ihn aus ihren großen glänzenden Augen an.
Lyannen schaute verlegen zu Boden. »Ich heiße Lyannen, Sohn von Hauptmann Vandriyan von der Schwarzen Lilie«, antwortete er mit aller Höflichkeit, die er in so
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