Gefaehrten der Finsternis
den Teppich aus herabgefallenen Blättern schweben. Ab und an beugte sie sich hinunter, als würde sie etwas auf dem Boden begutachten. Eine innere Stimme empfahl Lyannen, er solle besser gehen, doch er folgte ihr nicht. Er umklammerte seinen Silberstern und versuchte, sich so leise wie möglich dem rätselhaften Wesen zu nähern. Und er blieb stehen, als zwischen ihm und der Gestalt nurmehr ein paar Meter und ein riesiger Baumstumpf lagen.Vorsichtig beugte er sich vor, um besser sehen zu können.
Aus der Nähe wirkte die verhüllte Gestalt weniger gewaltig, doch genauso beunruhigend wie vorher. Sie mochte etwa zwei Meter fünfzig sein, also nicht größer als ein durchschnittlicher Ewiger, und Lyannen meinte unter dem Umhang, die Gestalt eines
jungen Mannes zu erkennen. Er war in ein langes silbernes Gewand gehüllt, das im Mondschein glänzte und bodenlang war, was mit dazu beitrug, dass es aussah, als habe er keine Füße. Über den Schultern hatte er einen kleinen Umhang aus dem gleichen glänzenden Silberstoff gelegt, dessen Kapuze das Gesicht verbarg. Einen kurzen Moment hatte Lyannen gemeint, ein spitzes Gesicht und eine blassgoldene Haarsträhne zu entdecken. Er hatte den Eindruck, als würde die seltsame Gestalt etwas suchen, denn sie schaute sich immer wieder um, fuhr mit den behandschuhten Händen über die Rinde der Bäume, kniete sich ab und an hin, um das Gras zu untersuchen und den Boden nach eventuellen Spuren abzutasten. Plötzlich war sich Lyannen sicher: Dieses Wesen, was immer es war, folgte ihnen. Und hatte sie fast eingeholt.
Dann hatte sich das Wesen unvermittelt aufgerichtet und hatte einen langen Pfiff ausgestoßen. Lyannen sah sich voller Furcht um und rechnete schon beinahe damit, von einer Horde durchgedrehter Goblins angegriffen zu werden. Doch nichts dergleichen geschah.
Als er sich wieder nach der mysteriösen Gestalt umsah, war sie verschwunden, als ob es sie nie gegeben hätte.
Beunruhigt war Lyannen ins Lager zurückgekehrt und war unerklärlicherweise doch noch eingeschlafen.
»Lyannen?«
Er riss sich aus seinen Gedanken. Drymn stand neben ihm und lächelte ihn ein wenig besorgt an. »Geht es dir gut?«
»Jaja«, gab Lyannen unruhig zurück. »Ich habe bloß nachgedacht, nichts von Bedeutung.«
»Du siehst müde aus, schon seit wir aufgebrochen sind«, sagte Drymn. »Ist das nicht merkwürdig?«
»Was soll merkwürdig sein?« Lyannen fuhr sich mit der Hand durch die Haare und schaute den Freund verwundert an.
»Ist es nicht das, was du wolltest?«, fragte Drymn. »Also losziehen, meine ich. In den Krieg. Zusammen mit uns.«
»Naja, eigentlich wollte ich ja an die Front und gegen die Goblins kämpfen«, sagte Lyannen. »Und mich nicht direkt dem Feind in die Arme werfen, um meine Freundin zu retten. Das eine hätte Ruhm und Ehre bedeutet, Drymn, das hier ist der reine Wahnsinn und Selbstmord.«
Drymn nickte. »Ich weiß auch nicht, warum ich mit dir gegangen bin, weißt du das, Lyannen? Ich war nie besonders mutig. Aber irgendwie war es wohl der Wille des Schicksals.«
»Wenn das der Wille des Schicksals war …« Lyannen rückte sich sein Gepäck auf den Schultern zurecht. »Wir tun mehr als unsere Pflicht. Aber es wird bald vorbei sein, Drymn. Das Schicksal hat sich geirrt.«
»Was meinst du damit?«
Lyannen legte den Kopf schräg. »Wir sind dem Ganzen nicht gewachsen. Und damit meine ich nicht unser Alter, sondern unsere innere Größe, unsere Fähigkeiten. Meinem Vater wäre es wahrscheinlich gelungen. Aber für meine Familie ist es besser, mich zu verlieren als ihn.« Er ließ den Kopf sinken. »Werdet ihr mir je verzeihen, dass ich euch in den Tod führe?«
Drymn sah Lyannen durchdringend an und der hob seinen Kopf. »Da gibt es nichts zu verzeihen, Lyannen«, flüsterte Drymn. »Ich habe dir bereits alles vergeben, was noch geschehen könnte, als ich eingewilligt habe, mit dir zu kommen.«
»Vielen Dank.« Lyannens Stimme klang rau. »Danke für alles.«
»Hey, ihr beiden! Wollen wir noch bis zum Abend die Stadt erreichen oder wollen wir bis in alle Ewigkeiten hier stehen bleiben?«
Drymn drehte sich um und lächelte. »Wir kommen!«, schrie er. Er wandte sich wieder zu Lyannen. »Taktvoll wie immer, unser Validen«, meinte er leise. »Können wir?«
»Wir können«, sagte Lyannen. Er rückte noch einmal einen Reisesack auf der Schulter zurecht, dann folgte er Drymn.Wenn sie Eileen retten wollten, sollten sie sich besser beeilen. Er schaute
auf zu den
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