Gefaehrten der Finsternis
Bäumen und ließ seinen Blick weit nach Norden schweifen.
Dann erschauerte er. Einen Moment lang hatte er geglaubt, eine hohe Gestalt in einem silbergrauen Gewand zwischen den Bäumen zu sehen. Doch als er das Dickicht des Waldes näher betrachtete, war da nichts mehr, und er war sich immer sicherer, dass er sich das alles bloß eingebildet hatte.
SECHS
K EINE ANTWORT. VERDAMMT, sie antworten nicht. Die haben doch tatsächlich Angst, was, Scrubb? Angst. Und zwar vor mir.Weißt du, das ist einfach großartig.« Scrubb saß stumm in einer Ecke und schüttelte nur den Kopf. Sein Freund aus Kindertagen hatte sich verändert, seit er zum Herrn der Finsternis geworden war. Sehr sogar. Und Scrubb wusste nicht, ob er ihn beunruhigender fand, wenn er schlechte Laune hatte oder wenn er in so überschwänglich guter Stimmung war wie jetzt.
»Es bereitet mir eine tiefe innere Befriedigung, diese wunderbaren, ach so mächtigen und viel gepriesenen Ewigen in die Enge zu treiben«, fuhr der Herr der Finsternis fort und rieb sich grinsend die Hände. »Die sollen vor mir auf den Knien rutschen. Scrubb, da gibt es kein Mitleid. Sie müssen sich erniedrigen.Vor mir erniedrigen. Das wird mir eine unglaubliche Befriedigung sein.«
»Meinst du nicht, dass du damit zu weit gehst?«, wagte Scrubb einzuwerfen und fuhr sich dabei nervös über seinen feuerroten Schopf. Er nahm gern sterbliche Gestalt an, besonders wenn er beim Herrn der Finsternis war. Natürlich war das nur ein Vorwand, denn sein Freund war von klein auf an das wahre Aussehen von Mörderdämonen gewohnt. Aber so hatte Scrubb eine ausgezeichnete Entschuldigung, anstelle seiner eigentlichen Dämonengestalt,
die er nie besonders gemocht hatte, eine sterbliche Erscheinung zu wählen, denn er bewunderte die Sterblichen für ihre Schönheit und Anmut.
Scrubb hätte einen gut aussehenden Mann abgegeben. Man hätte ihn auf etwa dreißig geschätzt, obwohl er sehr viel älter war, doch verglichen mit dem Durchschnittsalter seiner eigenen Leuten war er beinahe noch ein Knabe. Er war groß und schlank und hatte einen muskulösen Körper. Aus seinem ovalen, bleichen Gesicht leuchteten zwei gelbgrüne, unergründliche Augen. Seine Haare waren eher kurz und strubbelig, ständig fiel ihm eine widerspenstige Locke in die hohe Stirn. Er trug ein schlichtes weißes Gewand, das in der Taille mit einem goldenen Gürtel zusammengehalten wurde, und ging barfuß. Durch den Ausschnitt des Gewandes konnte man eine lange, gezackte Narbe sehen; dem Aussehen nach stammte sie von einer Hiebwaffe. In letzter Zeit hatte er immer einen melancholischen Zug an sich, weil ihn viele Probleme quälten, nicht zuletzt der Zerfall seiner Freundschaft mit dem Herrn der Finsternis.
Sie waren am gleichen Tag geboren, oder vielmehr hatte man den, der später zum Herrn der Finsternis werden sollte, als Neugeborenes neben seiner Mutter gefunden, als diese an den Folgen der Geburt starb, und zwar genau an dem Tag, als Scrubb geboren wurde. Damals war der Herr der Finsternis nur ein Baby und niemand hätte sich vorstellen können, dass er irgendwann einen Titel tragen würde, hinter dem eine so bedrohliche Macht stand. Scrubb, der ihn schon seit je kannte, konnte es selbst nicht fassen, dass ihm nicht früher aufgefallen war, wie sein Freund sich veränderte. Für ihn war es, als hätte der sich schlagartig verwandelt, als hätte eine unbekannte Macht über Nacht von ihm Besitz ergriffen. Auf einmal fiel es Scrubb schwer zu glauben, dass der, dessen Stimme ihm doch so vertraut war, wirklich sein alter Freund war.
Beide waren gemeinsam aufgewachsen und die engsten
Freunde, die es je in den Nordlanden gegeben hatte, obwohl sie von ihrem Wesen her immer völlig verschieden waren. Diese Unterschiede drückten sich schon in den Namen aus, die man ihnen gegeben hatte. Der Herr der Finsternis hieß ursprünglich Gylion, was in der Sprache der Dämonen »Herz aus Eis« bedeutete. Und alle waren sich darin einig, dass es niemals einen zutreffenderen Namen gegeben hatte, denn dieser Junge hatte sich von Anfang an als hart, gleichgültig und gefühllos erwiesen. Jemand, der alles eiskalt berechnete. Ein kühler Stratege. Manchmal konnte Scrubb seinen Gedankengängen nicht folgen. So wie Gylion rational veranlagt war, war er selbst impulsiv und temperamentvoll. Und es war bestimmt kein Zufall, dass Scrubb in der Sprache der Dämonen »Feuer« hieß. Er liebte das Feuer mit der ganzen hitzigen Kraft seines Wesens. Er liebte
Weitere Kostenlose Bücher