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Gefährten des Zwielichts

Titel: Gefährten des Zwielichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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Abend und am Morgen konnte er zurückkehren und sehen, was sich in seiner alten Heimat tat.
    Die geflügelte Chimäre unter ihm sträubte sich, als das Licht ihr in die Augen stach und ihren Löwenleib reizte. Auch sie war ein Geschöpf der Nacht und schätzte die Sonne nicht, aber der Wardu führte sie mit eisernem Willen.
    Baskon kreiste so hoch über dem Land, dass vom Boden aus nur mehr eine schmale, schwarze Silhouette zu erkennen war, wie ein ferner Vogel. Aber Baskon konnte seine Sinne weiter ausstrecken als jeder Mensch, und keine Einzelheit dort unten entging ihm.
    Die Begrenzungen des menschlichen Leibes hatte er hinter sich gelassen. Unter diesem Helm waren keine Augen mehr. Vielmehr war es der Klang seiner Seele selbst, unter dem die Rüstung sanft erzitterte, der Klang, der den Stahl zusammenhielt und als menschenähnliche Gestalt wandern ließ. Vor unzähligen Jahren, vor Jahrtausenden schon, hatte Leuchmadans Macht den Geist aus Baskons vergehendem Körper gefangen und mit jenem mächtigen Artefakt verschmolzen, das er nun zurückholen sollte - mit Leuchmadans Herz.
    Die Magie dieses Herzens war es, die Baskons Seele am Leben erhielt, und die Essenz der Grauen Lande speiste es und verlieh ihm Kraft. Und so, wie das Herz zu jeder Zeit den Klang seiner Seele spiegeln und auf andere Dinge übertragen konnte, wie es ihnen Geist und Regung verlieh und sie zu Baskon werden ließ, so waren auch Baskons Sinne nicht mehr an den Leib gebunden. Er konnte sie mit dem Klang ausschicken und anderswo wirksam werden lassen.
    Es hatte lange gedauert, bis Baskon sich an diese Existenz gewöhnt hatte und seine neuen Fähigkeiten zu meistern lernte. Er blickte damit hinab auf das Land, in der Hoffnung, einen Eindruck zu erhaschen, Menschen zu sehen, sich zu erinnern. Es war schwer, festzuhalten, was man gewesen war, wenn man keinen Körper besaß und nichts geblieben war von dem, was man einst für sein Selbst gehalten hatte.
    Eine Regung am Boden fing Baskons Aufmerksamkeit.
    Von einem kleinen abgelegenen Gehöft lösten sich mehrere Gestalten. Baskon fühlte das Leben, das Pulsieren der kleinen Herzen, das Patschen bloßer Füße. Ein kleines Mädchen war es, das die Gänse zur Weide trieb.
    Baskon hatte keinen Mund mehr, der lächeln konnte.
    Das Mädchen entfernte sich von dem Haus, näherte sich einem schmalen Streifen Wald und trieb die Gänseherde hindurch. Baskon verfolgte aufmerksam ihren Weg. In einiger Entfernung sah er eine kleine Wasserfläche glitzern, einen Tümpel. Vielleicht wollte das Gänsemädchen dorthin.
    Neugierig ließ Baskon den Mantikor tiefer hinabtauchen und sog die Eindrücke auf. Ja, einst war er selbst ein Kind gewesen, ein Bauernjunge, weit südlich von hier. Als Erbe eines ärmlichen Hofes hatte er Schweine gehütet, hatte sie immer in den Wald getrieben, als er kaum älter gewesen war als dieses Kind.
    Das Mädchen mit den Gänsen kam wieder zwischen den Bäumen hervor und lief über eine karge Wiese, voll von Gestrüpp und trockenen Kräutern. Baskon lenkte den Mantikor über das Kind, doch so hoch, dass es nicht das Schlagen der Schwingen hörte.
    Auf der anderen Seite fiel die Wiese in eine feuchte Senke ab, und das Mädchen ließ die Gänse ausschwärmen und blickte sich suchend um. Da! Baskon sah einen Felsen, nicht weit von ihr, wo sie sitzen und ihre Vögel im Auge behalten konnte.
    Baskon wartete, was das Mädchen als Nächstes tun würde. Hatte sie eine Flöte dabei? Baskon hätte es gefallen, den Klängen zu folgen, denn Klänge schlugen eine Brücke zu dem, was er jetzt war.
    Die Sonne stieg rasch höher. Die Schatten am Boden wurden zu klaren Silhouetten, und die Dämmerung wich dem frühen Morgen. Es wurde Zeit, zu seinen Begleitern zurückzukehren. Es wurde Zeit, diesen Ausflug zu beenden. Immerhin bekam er jeden Abend, jeden Morgen aufs Neue Gelegenheit, diese Erfahrung zu wiederholen.
    Baskon fasste seinen Speer, und mit einer einzigen entschlossenen Bewegung schleuderte er ihn hinab. Es war eine kurze, plumpe Waffe, ganz aus Stahl geschmiedet und mit einer langen, scharfen Spitze versehen. Es war kein gezielter Wurf, doch Baskon lebte in dem Metall - er ließ es leben.
    Er lenkte es im Flug, und er selbst war es, der dem Mädchen beim Schlüsselbein in die Brust fuhr, mitten durch das pochende Herz und über dem Becken am Rücken wieder heraus.
    Tot bin ich, Tod bring ich, sang Baskon, der Wardu.
    Er lenkte Rujan zum Boden hinab, um seine Lanze zurückzuholen und sein

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