Gefährtin der Dämmerung
Namen nennend, während er meine Gedanken aussprach.
»Leck mich, Dracula«, blaffte ich. »Kein Wunder, dass Bones dich nicht leiden kann. Mich nervst du auch.«
»Wir mochten einander zwar nie besonders, aber wir haben einander respektiert. Hätte Bones gewollt, dass du das tust?
Hätte er das getan, wenn du umgekommen wärst?«
Nein.
Ich wusste die Antwort, ohne nachzudenken. Mir war klar, was Bones an meiner Stelle getan hätte. Hätte Max mich um gebracht, wäre Bones ebenso am Boden zerstört gewesen wie ich gerade, doch als Vampir hätte er sich nicht zum Selbstmord hinreißen lassen. Nein, nicht, solange er nicht jeden, der für meinen Tod mit verantwortlich war, aufgespürt und auf grau same Weise hätte büßen lassen. Erst nach vollzogener Rache hätte Bones sich auch nur einen Gedanken an seinen eigenen Tod gestattet. Typisch Vampir.
Aber Vlad hatte recht. Ich konnte mich herausreden. Ich war halb Mensch. Ich konnte mich in meine Menschlichkeit ein hüllen und von dieser Felswand hinunter in Bones' Arme und eine andere Welt springen. Vampire konnten sich einen sol chen Luxus nicht leisten. Als Vampirin hätte ich keine andere Wahl gehabt, als wieder hinunterzuklettern und blutige Rache zu üben, Herzschmerz hin oder her. Aber als Mensch konnte ich einfach springen.
Vlad musterte mich mit kühlem, mitleidlosem Blick, wäh rend er meinem inneren Zwiespalt lauschte.
»Also, was bist du nun?«
Seit meine Mutter mir an meinem sechzehnten Geburtstag erzählt hatte, wer mein Vater war, hatte ich mich mit ebendie ser Frage herumgeschlagen. Mein Herzschlag schien mich zu verspotten. Jedes Atmen war wie Hohn. Ja, in gewisser Hinsicht war ich sehr menschlich, und ja, ich wollte den Frieden, den mir dieser Sturz ins Jenseits und zu Bones bringen würde. Gott, wie ich mich danach sehnte! Aber ich war kein Mensch. War nie ei ner gewesen, und ich konnte es mir auch nicht länger einreden.
»Und?«, bohrte Vlad weiter, diesmal mit noch mehr Nachdruck.
Ich warf der felsigen Talsohle einen letzten, sehnsüchtigen Blick zu und erwiderte Vlads Blick.
»Ich bin eine Vampirin«, sagte ich und trat vom Abgrund zurück.
2 2
Mencheres sagte nichts, als ich später zusammen mit Vlad wie der auftauchte. Falls er etwas von dem Drama ahnte, das sich gerade abgespielt hatte, behielt er es für sich. Meine Mutter und Denise waren eingetroffen. Ich hatte ihr Flugzeug über mir kreisen sehen, als ich den Felshang hinuntergeklettert war.
Ein Schrei ließ mich ruckartig den Kopf heben, als wir uns dem Haus näherten. Mencheres schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Er hatte draußen auf meine Rückkehr gewartet.
»Sie haben gerade von seinem Tod erfahren«, erklärte er.
»Du wolltest mich sprechen?«
Mein beherrschter Tonfall schien Mencheres zu überraschen.
»Ich dachte, du wolltest erst deine Mutter sehen?«
»Nein, reden wir jetzt.«
Vlad verneigte sich höflich. »Ich ziehe mich zurück, damit ihr unter vier Augen sprechen könnt«, sagte er und ging ins Haus.
Mencheres musterte mich genauso abschätzend wie ich ihn.
Keiner von uns sagte etwas. Schließlich brach er das Schweigen.
»Ich habe von meiner Macht Gebrauch gemacht, um heraus zufinden, wo Bones' Leiche ist. Einen Augenblick lang habe ich ihn gesehen, und da ist er mit einem Messer in der Brust tat sächlich verwelkt und gestorben.«
Das Bild, das er heraufbeschwor, traf mich wie ein Fausthieb.
Ich musste an mich halten, um nicht wie Annette in hysteri sches Geschrei auszubrechen. Meine Fingernägel gruben sich in meine Handflächen, als ich meinen Schmerz erbarmungs los verdrängte.
»Weißt du, wo er ist?« Ich wollte ihn wenigstens heimbrin gen, wenn ich schon sonst nichts mehr für ihn tun konnte.
»Nein. Das Bild war gleich wieder weg. Ich glaube, Patra be nutzt einen Blendzauber. Das hat sie schon früher getan, um zu verhindern, dass ich sie aufspüren kann. Ich versuche es na türlich wieder.«
»Danke.«
Es war das erste Mal, dass ich ihm gegenüber echte Freund lichkeit zeigte. Mencheres lächelte nicht, aber aus seinem Ge sicht wich ein wenig die Anspannung.
»Es ist sowohl meine Pflicht als auch mein Wunsch, Bones einen würdigen Abschied zu bereiten.«
Dann sagten wir eine Weile gar nichts. Schließlich begann Mencheres wieder zu sprechen.
»Bones hat dich zu seiner Erbin eingesetzt. Du bist nun Her rin seiner Sippe und meine Mitregentin. Ich habe den Bluteid auf diesen Bund geleistet, und mein Wort gilt auch jetzt
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