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Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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bösartig, dass der ganze Raum, Luft, Bücher, Papier, vor Schreck zu erstarren schienen. Ich erzitterte, als mich das Entsetzen und die Ahnung undenklicher Schrecken durchrieselte. Zee zog so hart an meiner Brust, dass ich stolperte.
    Dann sah ich Dinge in meinem Kopf: vergrabene Erinnerungen, Blitze, Fragmente. Meine Mutter, am Rand des Grand Canyons; die Sonne glühte auf ihrer tätowierten Haut, als sie mit weit ausgestreckten Armen in den Abgrund sprang, wie ein Vogel. Ihr Sturz blendete über zu den Augen eines Wolfs, eines Wolfsrudels, das auf dem Rücken meiner Mutter tanzte, vor einem orangeroten Sonnenuntergang, der sich hinter den Wipfeln der Bäume golden abhob. Und vor ihr, auf einem Felsvorsprung, braun gebrannt, stark und lächelnd …
    … Jack.
    Es verblasste. Alle Bilder verblassten. Schmerz setzte ein, und ich presste meine Handfläche auf die Augen. Fand mich auf allen vieren wieder, taumelnd, über Büchern. Ich spürte eine Bewegung, blickte hoch und sah, wie das Mädchen, oder besser: wie diese Kreatur die Steinscheibe fallen ließ, als hätte sie sich verbrannt. Ihr Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, wie im Spiegel eines Spiegelkabinetts; ihre Augen und ihre Nase
wurden von ihrer Stirn so zusammengepresst, dass sie wie ein Zyklop aussah. Sie warf den Kopf in den Nacken, erschauerte, drehte sich herum und richtete ihren grauenvollen Blick auf mich.
    »Woher hast du das?«, fauchte sie. »Woher?«
    Ich knurrte und sprang auf. Die Fratze der Kreatur glättete sich, und diesmal nahm sie nicht meine Züge an, sondern die einer anderen Frau, einer kleinen, dunklen, sehr zierlichen Frau. In deren Mund scharfe Zähne funkelten.
    »Ich bring dich um«, flüsterte sie. »Sag es!«
    Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich meine Handschuhe ausgezogen hatte, aber nun krümmte ich meine Finger; die Jungs tobten. Ich sprang auf sie los, zerfetzte mit meinen Stiefeln einige Bücher und packte ihren Leib mit meinen Händen.
    Die Jungs versuchten, sich an ihr festzusaugen, aber wie zuvor schon wirkte sie so unfassbar wie Wasser. Es fühlte sich an, als packte ich die Essenz eines Parasiten. Sie dehnte sich aus, über den Mann und die Frau neben uns, die sich aufgesetzt hatten und uns anstarrten. Ich konnte die Kreatur nicht daran hindern.
    Dann waren sie alle verschwunden, einfach so. Die Wunderkinder-Zwillinge, das Mädchen, die Kreatur, Dämon oder nicht. Ich blieb mit einer toten Frau und einem Raum voller Bücher zurück, und die Sirenen der Polizeiwagen gellten in meinen Ohren.
    Ich hatte keine Zeit. Hastig hob ich die Steinscheibe auf, schrak kurz zusammen, als sich ihre Hitze auf die Jungs übertrug, und schob sie in die Hosentasche. Das Messer, das ich nach der Kreatur geworfen hatte, lag daneben. Ich nahm es und kroch über die Bücher zu Sarai zurück. Ihre Haut war noch warm, aber ich sagte mir, dass es nur eine leere Hülle war. Nur eine Haut.
    Nur Haut. Etwas kribbelte in meinem Hirn, doch ich war
zu erschöpft, mir war zu übel, um denken zu können. Ich fuhr mir mit der Hand über meine brennenden Augen, während sich mir vor Trauer die Kehle zusammenschnürte. Warum, wusste ich nicht. Ich hatte diese Frau ja kaum gekannt. Genau genommen wusste ich so gut wie gar nichts. Ich schloss die Augen, als sich eine merkwürdige Dunkelheit hinter meinen Rippen rührte. »Vertrau mir«, hauchte ich der Toten ins Ohr. »Glaub mir, dass ich mit dem hier fertig werde.«
    Dann verließ ich schleunigst die Wohnung. Im Treppenhaus rief ich erneut Jacks Namen, erhielt jedoch keine Antwort. Die Sirenen gellten durch die Wände. Den Vordereingang konnte ich vergessen. Ich drehte mich und lief hinauf. Oben lag ein Atelier mit leeren sauberen Böden, leeren Wänden und großen Fenstern, durch die das Sonnenlicht kam und die Räume zu fluten schien. Ein ordentlich gemachtes Bett in der Ecke und ein winziges, aufgeräumtes Bad. Von Jack keine Spur.
    Auf einem Tisch standen Farben und Bürsten sorgfältig aufgereiht. Die Leinwand davor maß mindestens vier Quadratmeter. Sarai hatte an einem Gemälde gearbeitet. Auf der Leinwand war nur Dunkelheit, ein sattes Schwarz mit blauen Untertönen. Ein Abgrund oder ein sternenloser Himmel. Es war eine geradezu gierige Dunkelheit. Ich dachte an Oturu, an sein Lächeln. An das Mädchen und seine Wut.
    Sarai war tot. Erschossen.
    Ich musste Jack finden.
    Das Sirenengeheul verstummte. Sie waren da. Wer die Polizei wohl gerufen hatte? Vielleicht war es ja eine Falle

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