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Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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saß immer noch da, als ich die Sirenen hörte. Wie lange? Eine Minute. Oder zehn. Ich warf einen Blick über die Schulter. Die Wunderkinder-Zwillinge lagen immer noch am Boden, unter Bergen von Büchern, regungslos und blutüberströmt. Ich stand auf und balancierte über einem Meer aus Büchern zu ihnen.

    Die Luft in dem Raum schmeckte kalt. Ich bückte mich und riss mein Messer aus dem Bein des Mannes. Bis auf das schwache Heben und Senken seiner Brust rührte er sich nicht und gab auch keinen Laut von sich. Mein anderes Messer lag auf dem Boden. Ich steckte sie beide in ihre Scheiden zurück.
    Es wurde kälter. Ich konnte es zwar nicht auf der Haut spüren, aber beim Einatmen schien die Luft in meinen Lungen ein fast arktisches Flair zu haben. Mein Atem bildete zarte weiße Wölkchen. Die Jungs bewegten sich auf meinem Körper, rastlos träumend.
    Ich ging an Sarais Leichnam vorbei, rief nach Jack und warf einen Blick in den angrenzenden Raum. Darin befanden sich nur ein ungemachtes Bett und ein kleines Bad. Von dem alten Mann war nichts mehr zu sehen. Ich fühlte eine Angst um ihn. Als ich mich dann wieder umdrehte, hatte ich Gesellschaft bekommen.
    Das kleine Mädchen. Das kleine Ich. Es trug immer noch die Jeanslatzhose und die roten Cowboystiefel, das dunkle Haar fiel über seine Schultern. Es hockte neben Sarais Kopf und drückte die kleinen Finger mitten auf die Stirn der Leiche.
    »Das Einhorn hat sein Horn verloren«, murmelte das Kind.
    »Geh weg von ihr.«
    »Sie ist nur eine Haut, Jägerin. Nichts ist mehr da, dem man wehtun könnte.« Das Kind stach mit dem Zeigefinger zu, mitten in die Stirn. Knochen knackten, und sein Finger drang bis zum Knöchel in den Schädel ein. Ich schrie auf, stürzte mich auf das Kind, stolperte aber über einige Bücher und fiel hin, kurz bevor ich es erreichte. Ich krabbelte weiter, aber da hatte das Mädchen seinen Finger bereits herausgezogen. Hirnmasse klebte daran. Es starrte den Finger stirnrunzelnd an. Als ständen dort Worte in Sarais Hirn geschrieben.
    Aber das kümmerte mich nicht. Ich griff nach einem Messer
und schleuderte es auf das Kind. Die Klinge durchdrang seine Brust und prallte mit einem dumpfen Laut in die Wand dahinter. Oturus Mal unter meinem Ohr brannte.
    »Du kannst mir nicht das Leben nehmen«, erklärte das Mädchen zerstreut. »Nicht einmal die Dämonen in ihrem Gefängnis konnten mich vernichten. Obwohl sie es versucht haben.«
    Ich hockte mich hin und kämpfte gegen die Übelkeit. »Was bist du dann?«
    Jetzt endlich sah mich das Kind an. Bisher hatte ich seine Augen noch nicht gesehen. Sie waren schwarz, wie die eines Hais, einer Puppe, oder wie Erdöl, das aus dem Fels quillt, glatt und heiß. Und die alterslose Intelligenz in seinem Blick überzog mich mit einem Pesthauch, der von so vielen üblen Vorahnungen durchsetzt war, dass ich kaum denken konnte.
    »Ich bin ein Avatar«, flüsterte es. »Ich bin, was unter der Haut schläft.«
    Erneut hörte ich die Sirenen. Sie waren jetzt lauter. Ich hatte sie verdrängt, aber mir war klar, dass sie hierher unterwegs waren. An diesem Ort würde es jeden Moment von Polizisten wimmeln. »Und Sarai? Jack?«
    Das kleine Mündchen des Mädchens verhärtete sich; sie wischte sich die Finger an Sarais blutbeflecktem Kleid ab. »Sie sind tot. Sie werden auch tot bleiben. Hier oder im Labyrinth.« Ihr Blick zuckte zu dem Mann und der Frau hinter ihm, die langsam ihr Bewusstsein wiedererlangten.
    Für einen Moment sah ich den Haarzopf in ihrer rechten Hand. »Das hier hätte nicht passieren dürfen«, sagte sie sehr leise. »Jemand mischt sich ein.«
    Mamablut. Ich versuchte aufzustehen, vermied es aber, das klaffende Loch in Sarais vollkommenem Gesicht anzusehen. »Sie ist tot. Was willst du noch?«
    »Antworten«, erwiderte das Kind erneut zerstreut, während
es blicklos zur Seite starrte, als lausche es. Dann stand es auf und glitt zu den Büchern. Vor ihm lag das Geschenk meiner Mutter. Die Steinscheibe, die wie eine glatte, dunkle Perle schimmerte.
    Ich rannte los. Wäre ich nicht unverletzbar gewesen, ich hätte mir bei diesem Lauf über die Bücher zweifellos die Beine gebrochen. So aber glitt ich aus, rutschte weg und stürmte über die zerklüfteten Berge aus Leder und Stoff und Papier hinweg, wollte die Scheibe unbedingt vor dem Mädchen erreichen.
    Ich war jedoch zu langsam. Sie war viel schneller an dem Stein. Ihre Hand packte die Scheibe. Im selben Moment wurde ihre Miene eisig und dabei so

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